Café international
Seit zehn Jahren treffen sich Eltern am Donnerstagmorgen im Café international. Mit dabei auch zwei Lehrpersonen, die niederschwellig übers Schulsystem informieren und Fragen beantworten.
«Cafébetrieb, Kinderbetreuung, Gespräche auf Deutsch» steht auf der weissen Fahne, die am Donnerstagmorgen vor dem Schulhaus Zentrum 6 steht. Die Türe im ersten Stock des Gebäudes ist geöffnet, Stimmen dringen aus dem Inneren ins Treppenhaus. An der Wand vor dem Eingang sind über hundert verschiedene Flyer und Infobroschüren eingesteckt. Vom Beratungsangebot der Caritas bis zum Gesundheitstipp vom Roten Kreuz.
In einem Flyer werden auch die Angebote der Fachstelle Integration aufgelistet. Dazu gehört das «Café international», das gerade offen hat. 9 Frauen sind an diesem Morgen gekommen und sitzen zusammen mit den beiden Lehrpersonen Rosmarie Steiger und Yasmin Attia an einem grossen Tisch. Mitten unter ihnen der einzige Mann, Schulleiter Fabio Fräfel. Die Stimmung ist entspannt, die einen trinken Kaffe, die anderen unterhalten sich. Auf dem Tisch steht ein Kürbiskuchen, den Aferdita Shala zuvor gebacken hat. Der Maismehlkuchen mit Kürbis ist eine Spezialität aus ihrer Heimat Kosovo. «Wir haben letzte Woche hier Herbstrezepte aus verschiedenen Ländern ausgetauscht», sagt Rosmarie Steiger.
Integrationskurs für fremdsprachige Neuankömmlinge
Rosmarie Steiger ist die Initiantin des Cafés, das sie zusammen mit Yasmin Attia durchführt. Die beiden leiten mit einer weiteren Lehrperson zusammen den Kommunalen Integrationskurs (KIK) an der Schule Neuenhof. Zugezogene Kinder, die noch nicht gut Deutsch sprechen und verstehen, erhalten dort einen Intensivdeutschkurs, bevor sie ein paar Wochen oder Monate später in die altersentsprechende Regelklasse wechseln.
Das vom Kanton Aargau initiierte Angebot wurde vor 23 Jahren in Neuenhof eingeführt. «Als ich die Stelle ausgeschrieben sah, habe ich mich beworben und bin seither dabei», sagt Steiger. Vorher hat sie als Primarlehrerin gearbeitet und die DAZ-Ausbildung (Deutsch als Zweitsprache) gemacht. «Dabei merkten wir, dass wir die Eltern mit ins Boot holen müssen.» Kulturelle Unterschiede und die fehlenden Deutschkenntnisse hätten teilweise zu Missverständnissen geführt. Die Gemeinde schuf die Fachstelle Integration. Zusammen mit dem damaligen Schulsozialarbeiter erstellte Steiger ein Konzept. Eine Massnahme war, an Elternabenden und bei Elterngesprächen Dolmetscher einzusetzen. «Dabei geht es nicht nur ums Übersetzen, sondern auch darum, ihnen unsere Kultur und Werte zu erklären», so Steiger. Manchmal werde bewusst ein Mann als Dolmetscher eingesetzt, damit von Mann zu Mann gesprochen werden könne. Als zweite Massnahme wurde vor zehn Jahren das Café international eingeführt, wo mehrheitlich Frauen anzutreffen sind.
Tipps zum Leben in der Schweiz
Einige Frauen sitzen an diesem Donnerstagmorgen zum ersten Mal im Café. Die einen, weil sie sich allein fühlen, keine Verwandtschaft in der Nähe haben und Freunde suchen. Andere, um Deutsch zu sprechen oder Informationen aus der Schule zu bekommen.
Oftmals greifen die beiden Lehrerinnen ein Thema auf. Was macht man, wenn die Kinder erkältet sind? Welche Hausmittel gibt es? Wann geht man in den Notfall? Oder wie geht man vor, wenn man das Kind von der Schule abmelden muss? «Ich bin froh um diese Tipps, denn ich bin erst seit dreieinhalb Wochen in der Schweiz», sagt Fara aus Bangladesch, die sich im Moment noch in englischer Sprache mit anderen unterhält und froh ist, auch Deutsch zu hören.
Am eigenen Leib erfahren, sich fremd zu fühlen
Yasmin Attia weiss aus eigener Erfahrung, wie es ist, die Sprache nicht zu beherrschen und sich in einem fremden Land zu integrieren. Die Schweizerin lebte 20 Jahre lang in Kairo, unterrichtete dort an einer Auslandschule. Als sie in die Schweiz zurückkehrte, musste sie sich wieder reintegrieren. Sie kann deshalb mit den Ausländerinnen und Ausländern mitfühlen. «Die vielen Kulturen an der Schule Neuenhof sind Gewinn und Herausforderung zugleich», sagt sie. Gewinn, weil von der Andersartigkeit gelernt werden kann, Herausforderung, weil einige Mühe hätten, sich an die Schweizer Kultur anzupassen. Zudem seien insbesondere die geflüchteten Kinder traumatisiert. «Sie haben keine erweiterte Familie, sind hier nicht eingebettet und sind oftmals traumatisiert.» Manche Schicksale gehen den KIK-Lehrerinnen nahe. «Wir sind froh, dass wir miteinander darüber sprechen können», sagen die beiden. Um ihre Aufsichtspflicht wahrzunehmen, hätten sie auch schon die Schulleitung eingeschaltet. Zum Glück gebe es auch die schönen Erlebnisse. Etwa, als sie kürzlich im Unterricht Besuch von einer mittlerweile 19-jährigen ehemaligen Schülerin bekamen. «Sie sagte uns, dass sie jetzt eine Lehre als Psychiatrieschwester macht.» Solche Entwicklungen und wenn Kinder ihnen rückmelden, dass die KIK für sie ein Daheim war, seien mit ein Grund, weshalb sie sich für die Integration der Kinder und ihrer Eltern einsetzen.
Mittlerweile ist es halb elf. Die ersten Frauen bringen ihre Tasse in die Küche. Es dauert nicht lange und sie haben den Tisch abgeräumt und verabschieden sich. «Ich komme wieder», sagt Fara und geht nach draussen, um auf dem Schulhausplatz auf ihre Tochter zu warten.
Aferdita (57) aus Kosovo
«Ich komme seit der Eröffnung regelmässig ins Café, auch wenn meine Kinder mittlerweile erwachsen sind. Ich erfuhr hier, was in der Schule passiert, und habe viele Informationen erhalten. In der Zwischenzeit arbeite ich auch als Übersetzerin.
Agnieszka (27) aus Polen mit Sohn
«Ich bin zum dritten Mal hier. Einerseits, um Deutsch zu lernen, und andererseits, um andere Frauen mit Babys zu treffen. Ich fühle mich ein bisschen alleine, da ich im Moment nicht arbeite, sondern mein 1 1/2-jähriges Kind betreue. In meinem Heimatland arbeitete ich als Violinistin.»
Amra (33) aus Mazedonien
«Ich arbeite als Spielgruppenleiterin und betreue während des Cafés die Kinder, damit die Mütter in Ruhe reden können. Als ich in die Schweiz kam, wusste ich nichts übers Schulsystem und hatte viele Fragen. Hier ist der richtige Ort, um Informationen zu erhalten.»
Burbuqe (48) aus Serbien
«Seit fünf Jahren gehe ich regelmässig ins Café. Ich kam vor allem, um Deutsch zu lernen und andere Frauen zu treffen. Ich besuche auch einen Deutschkurs, der ist aber teuer. Ich bin glücklich, dass ich hierherkommen kann, und bekomme so auch Informationen zur Schule.»