Labradorhündin Mila als Eisbrecherin
Mit ihrer Hündin Mila will Sibylle Müller Freude schenken: den Kindern beim Lesen oder in der Spielgruppe und den Senioren in Heimen. Im September schloss die Killwangenerin die Therapiehundeausbildung ab.
Nach dem Klingeln ertönt Hundegebell. Kurz darauf öffnet Sibylle Müller die Türe – von einem Vierbeiner keine Spur. «Ich habe sie oben gelassen. Sie bellt, um ihr Revier zu verteidigen. Sobald sie euch beschnuppert hat, hört sie auf.» So ist es denn auch. Die Golden-Retriever-Hündin Mila holt ihren Plüschbären, legt sich unter den Stubentisch und schläft seelenruhig, während ihre Halterin über die Therapiehundeausbildung spricht, die sie im September abgeschlossen haben.
Gemeinsam unterwegs sind die beiden schon länger. Seit einem Jahr begleitet Hündin Mila die dreifache Mutter zur Waldspielgruppe und seit Anfang Jahr in die Bibliothek. Dort beteiligen sie sich am Projekt «Lesen mit Hund». Die Kinder lesen Mila laut vor und stärken so nicht nur ihre Lesekompetenz, sondern auch ihr Selbstbewusstsein.
Auch wenn die beiden also schon länger auf Sozialeinsatz sind, tun sie das erst seit Anfang September im Auftrag des Vereins Therapiehunde Schweiz (VTHS).
Hunde müssen ruhig bleiben
Ein halbes Jahr hat die Ausbildung gedauert. Während 40 Lektionen haben die beiden in einem Altersheim in Affoltern am Albis verschiedene Situationen geübt. Sibylle Müller hat sich nicht nur Wissen über verschiedene Krankheitsbilder angeeignet, sondern mit Mila auch geübt, mit solchen Patienten umzugehen. «Der Hund muss bereits sozialisiert sein und gerne Menschen haben, sonst kann er das nicht lernen.» Einer der vier Hunde eignete sich nicht, die Halterin brach die Weiterbildung ab.
Bei der Abschlussprüfung im September wurde beispielsweise getestet, wie Mila reagiert, wenn jemand wild fuchtelnd mit Stöcken auf sie zugeht oder beim Streicheln fest zudrückt. «Menschen mit Trisomie 21 machen das manchmal, ein Therapiehund muss das aushalten können.» Er darf sich auch durch Geschrei, wie es bei Patienten mit Tourette-Syndrom vorkommt, nicht beunruhigen lassen. Das bedeute aber nicht, dass sich der Hund alles gefallen lassen müsse. «Aber es ist wichtig, dass er es auf eine gute Art mitteilt, sein Herrchen es merkt und entsprechend reagiert.» Mila zeigt beispielsweise durch Gähnen oder das Heraufziehen der Lefze, wenn sie genug hat. Müller hat gemerkt, dass sie bei Besuchen in der Demenzabteilung schneller ermüdet und aufmerksamer ist.
Mittlerweile hat auch Tochter Jara am Tisch Platz genommen. Die 12-Jährige mag Tiere und geht oft mit Mila spazieren. «Nicht immer ganz freiwillig», sagt sie mit Blick zu ihrer Mutter und schmunzelt. «Als mich mein Bruder kürzlich in der Jugi mit Mila abholte und sie von all den Kindern gleichzeitig gestreichelt wurde, hat sie die Lefze hochgezogen. Da wusste ich, dass es ihr zu viel ist.» Ihr Unwohlsein so zu zeigen, hat sie während der Ausbildung gelernt.
Mila – die stille Zuhörerin
Zusätzlich zum Einsatz in der Spielgruppe und der Bibliothek will das Therapiehundeteam Müller künftig Bewohnende in umliegenden Alters- und Pflegeheimen besuchen. «Ich darf Mila zwar jetzt Therapiehund nennen, doch es ist kein therapeutisches Angebot», stellt die Killwangenerin klar. Auch wenn sie tagtäglich erlebt, welche positive Wirkung ein Tier auf viele Menschen hat und wie Mila als Eisbrecherin sofort Zugang zu Menschen findet. Entspanntere Gesichtszüge und ein tieferer Puls zeugen davon. «Trotzdem kann ich keine therapeutische Wirkung garantieren.» So sei es auch bei der Lesestunde mit Mila in der Bibliothek. Manche Eltern hätten sie gefragt, ob ihre Kinder nach dem Besuch besser lesen können. «Ich sage den Eltern dann, dass sich die Kinder freuen, Mila laut vorzulesen, und sie doch wertschätzen sollen, dass ihr Kind freiwillig in die Bibliothek geht und lesen will.»
Helfen als Selbstverständlichkeit
Menschen Freude zu schenken, gerade solchen, denen es nicht so gut geht, ist Müllers Motivation. «Mir geht es gut, ich bin voller Energie und so positiv gestimmt, das will ich den Menschen mit Mila zusammen weitergeben», sagt die 49-Jährige. Aus diesem Grund hat sie sich auch jahrelang freiwillig im Elternverein und dem «Ferien-Spass» eingesetzt und ist aktives Mitglied im Samariterverein. «Für mich ist Helfen eine Selbstverständlichkeit, mit Mila zusammen macht es doppelt Freude», sagt sie mit Blick unter den Tisch. Dort schläft Mila noch immer und erhebt sich erst, als Sibylle Müller sie streichelt, um fürs Foto zusammen mit Jara zu posieren.
Verein Therapiehunde Schweiz (VTHS)
Im Jahre 1994 wurde der Verein Therapiehunde Schweiz (VTHS) von UrsulaSissener gegründet. Die interregionale Organisation bildet Therapiehunde-Teams, bestehend aus Hund und seinem Halter, aus. Zudem bieten sie jährliche Weiterbildungskurse an. Die 566 aktiven Therapiehunde-Teams (Stand Januar 2020) werden in Altersheimen, Spitälern oder Rehabilitationskliniken eingesetzt. Insgesamt zählt der gesamte Verein 1724 Mitglieder, alle arbeiten ehrenamtlich. Der Verein finanziert sich durch Mitgliederbeiträge und Spenden. Der VTHS ist gemeinnützig und nicht gewinnorientiert. Während der Therapiehund dem Hundehalter gehört, ist der Servicehund (z. B. Blindenhund) im Besitz einer Institution.(lor)