Lehrermangel verändert Schule

Es ist schwer, gutes Lehrpersonal zu finden. Das zeigt eine Umfrage bei den Schulleitungen der Region. Kurz vor dem Sommerferienstart sind noch nicht alle Stellen fürs nächste Schuljahr besetzt.

Noch sind aufs neue Schuljahr nicht alle Stellen besetzt.Chris Isel/Archiv
Noch sind aufs neue Schuljahr nicht alle Stellen besetzt.Chris Isel/Archiv

Der Lehrermangel macht sich an den Schulen im «Limmatwelle»-Gebiet bemerkbar. Vor allem die Schule Killwangen mit derzeit 165 Schülerinnen und Schülern sowie rund 25 Lehrpersonen bekommt das Phänomen zu spüren. Kurz vor Sommerferienstart sind dort laut Schulleiter Urs Bolliger noch nicht alle offenen Stellen für das neue Schuljahr besetzt. «Der Lehrkräftemangel zeigt sich in katastrophaler Deutlichkeit», sagt er. Einerseits, indem sich auf geschaltete Inserate kaum interessierte und schon gar keine qualifizierten Personen melden würden. Andererseits seien auf Stellenportalen für Lehrpersonen auch kaum ausgebildete Lehrkräfte zu finden, die eine Stelle suchen.

«Es ist für uns daher aktuell mehr oder weniger unmöglich, ausgebildete Lehrpersonen zu finden. Wenn überhaupt, dann melden sich Personen ohne pädagogische Ausbildung», sagt Bolliger. Man suche auf sämtlichen offiziellen und inoffiziellen Stellenportalen für Lehrpersonen, an den pädagogischen Hochschulen und auf anderen Jobportalen würden Inserate geschaltet. Auch ehemalige Stellvertretungen würden angefragt.

Vorteil als Partnerschule

Ähnlich wird die Lage in Wettingen empfunden. Zwar konnte Brigitte Warth-Rentsch, Geschäftsleiterin Bildung, bis auf wenige Stellenprozente alle Stellen besetzen. Dennoch sagt sie: «Es ist schwierig, gutes, motiviertes und adäquat ausgebildetes Lehrpersonal zu finden, jedoch ist es nicht bei allen Schulstufen gleich schwer.» Profitieren kann die Schule mit rund 2600 Schülerinnen und Schülern sowie 500 Lehrkräften von ihrer Verbindung zur Fachhochschule Nordwestschweiz. «Wir sind Partnerschulen. Dies gibt teilweise eine gute Möglichkeit, frisch ausgebildetes Personal anzustellen.»

In Spreitenbach ist die Stellenbesetzung für das Schuljahr 2022/2023 laut Regula Weidenmann von der Schulverwaltung fast abgeschlossen. Sie sagt: «Es gibt noch wenige Vakanzen, wir sind daran, diese zu besetzen. Es ist nicht einfach, ausgebildetes Personal zu finden.» In Spreitenbach unterrichten aktuell rund 240 Lehrpersonen zirka 1700 Schülerinnen und Schüler.

Weniger angespannt ist die Lage in Würenlos. «Wir sind froh und auch etwas stolz, dass wir mit dem diesjährigen Schuljahreswechsel kaum eine Fluktuation zu verzeichnen haben. So mussten wir erstmals nur Kleinpensen besetzen. Dies war eine grosse Entlastung», sagt Gesamtschulleiter Lukas Müller. Aktuell sei ab August einzig eine Stelle einer Lehrperson für Deutsch als Zweitsprache noch vakant. Doch auch Müller findet: «Dass die Stellenbesetzung schwierig und die Situation auf dem Arbeitsmarkt äusserst angespannt ist, sehen wir bei der Suche nach Stellvertretungen für kurzfristige und planbare Absenzen von Lehrkräften. Es ist kaum möglich, diesbezüglich jemanden zu finden.» Die Schule Würenlos zählt momentan 41 Abteilungen mit 720 Schülerinnen und Schülern sowie 95 Lehrpersonen.

In Neuenhof konnten bis auf einige Stellenprozente bei der Heilpädagogik und der Logopädie im Juni die letzten Stellen besetzt werden. Doch auch Gesamtschulleiterin Renate Baschek bezeichnet den ausgetrockneten Arbeitsmarkt als «akuter denn je». In Neuenhof unterrichten 142 Lehrpersonen 954 Schülerinnen und Schüler.

Hauptaufgabe nicht mehr im Fokus

«Wir hatten vorgängig die Möglichkeit geprüft, die Klassengrösse zu erhöhen, um eine Abteilung weniger zu führen. Das müssen wir jetzt zum Glück nicht umsetzen», sagt Baschek. Noch nicht. Die Schulleiterin ist überzeugt, dass der ordentliche Schulbetrieb aufgrund des Lehrpersonenmangels künftig nicht mehr überall lückenlos aufrechterhalten werden kann und es zum Paradigmenwechsel kommen wird. Als Folge würden Schüler weniger als Individuen, sondern vermehrt als Mitglieder einer Klasse funktionieren müssen, die Unterrichtsqualität werde leiden und Schüler und Eltern müssten sich damit abfinden, dass auf die Befriedigung einiger individueller Bedürfnisse verzichtet werden muss. Das schrieb Baschek im Wochenkommentar an die Eltern, nachdem sie an der kantonalen Themenkonferenz im Mai in Aarau teilgenommen hatte. Die Ursache des Lehrpersonenmangels sieht Baschek im nicht mehr korrekt definierten Berufsbild, die Schule habe in den letzten Jahren zu viele Aufgaben der Gesellschaft übernommen. Als Folge bleibe für die Hauptaufgabe, Lernenden Wissen zu vermitteln und schulische Grundfertigkeiten mit ihnen zu erarbeiten, nicht mehr genügend Zeit.

«Als ich vor 40 Jahren begann, als Lehrerin in Neuenhof zu unterrichtete, brauchten von 28 Schülern 3 Kinder besondere Aufmerksamkeit. Heute ist das Verhältnis umgekehrt.» Eine Lehrperson müsse deshalb heute auch Krisenmanager, Sozial- und Erziehungsberater für Kind und Eltern sein. «Dafür ist das System jedoch nicht ausgerichtet und dafür wurden die Lehrpersonen auch nicht ausgebildet.» Als Schule müsse man lernen, sich abzugrenzen, um sich wieder aufs Kerngeschäft fokussieren zu können: aufs Unterrichten.

«Beide Aufgaben kann sie nicht mehr gleichzeitig und im gleichen Mass erfüllen.» Das geht gemäss Baschek aber nicht ohne Abstrich. «Am Bild ‹wir sind eine gute Schule› darf nicht krampfhaft festgehalten werden», schreibt die Gesamtschulleiterin im Wochenkommentar und fügt an: «In Anbetracht des gravierenden Lehrermangels gibt es keine ‹gute Schule› mehr, sondern nur Schulen, die besser oder schlechter mit dem Lehrermangel umgehen können.»

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