Praxis in der Lehre trotz Lockdown

Eine Berufsbildnerin und ein Ex-Lehrling sagen, wie man die Corona-Krise trotz fehlender Praxis übersteht.

Setzt sich trotz Corona für Auszubildende ein: Ikea in Spreitenbach. (Bild: Severin Bigler)
Setzt sich trotz Corona für Auszubildende ein: Ikea in Spreitenbach. (Bild: Severin Bigler)

Lernende in praxisnahen Berufen sind von der Coronakrise besonders betroffen. Wie soll man Schuhe verkaufen, wenn keine Füsse den Laden betreten? Wie kochen, wenn niemand in der Gaststube sitzt?

Danijel Petrovic hat kurz nach dem Lockdown-Frühling 2020 die Lehre als Detailhandelsfachmann bei Ikea Spreitenbach abgeschlossen – erfolgreich. Er und die Verantwortliche für Berufsbildung von Ikea Schweiz, Jennifer Hasler, geben Auskunft, wie sie die erste Krise zusammen überstanden haben, und geben Tipps, wie man trotz Widrigkeiten durch die Abschlussprüfungen kommt.

«Der Lockdown kam aus dem Nichts», erzählt Danijel Petrovic. «Ich war mitten im dritten Lehrjahr und musste mich für die Abschlussprüfung vorbereiten.» Eigentlich sei ja nicht nur er für die Kunden da gewesen, sondern auch sie für ihn, denn mit ihnen habe er quasi für die Praxisprüfungen lernen können. «Als wir dann alle zu Hause waren, fiel die Praxisorientierung weg». Nur wenige Wochen zuvor konnte er im überbetrieblichen Kurs noch eine Prüfungssimulation durchspielen, sonst wäre es wohl schwierig geworden.

Vom Betrieb gepusht, von der Schule vernachlässigt

Lange liess man die Lernenden im Dunkeln, erzählt er: Wie, wo, in welchem Rahmen und ob die Abschlussprüfungen überhaupt stattfinden können. Das habe sich bisher nicht geändert, wie er von seinem ehemaligen Unterstift hört. Petrovic selber hatte sich für eine Petition eingesetzt, die ein alternatives Vorgehen für die Prüfungen vorschlug.

Während die erste Coronawelle für alle eine schwierige Herausforderung war, sieht Petrovic die Probleme weniger beim Betrieb als bei der Schule, in der er sich etwas alleine gelassen fühlte: «Wir hatten keine Lehrpersonen, keine Mitschüler, wir hatten eigentlich niemanden.» Vielleicht fünf Minuten Zeit habe man sich zu Beginn des Unterrichts genommen, um zu fragen, wie die Lernenden mit der Situation klarkämen. Danach aber seien sie «eher mit Aufträgen vollgepumpt worden», statt an konkreten Prüfungssituationen zu lernen. «Ich finde, sie hätten das anders gestalten können», sagt Petrovic.

Für ihn sei die Prüfung am Ende aber kein Problem gewesen, anders als für manche seiner Mitschüler. Sein Lehrbetrieb Ikea habe ihn gepusht und viel Hilfe angeboten. Ein Privileg, das andere nicht hatten. Privilegien spricht auch die Leiterin Berufsbildung von Ikea Schweiz, Jennifer Hasler, an. Zu Beginn des Lockdowns habe sie sich mit anderen Firmen ausgetauscht und festgestellt, dass es Betriebe gibt, die nicht dieselbe technologische Infrastruktur haben, die es ermöglicht, im Kontakt zu bleiben.

Wie Betriebe mit weniger Privilegien ihren Lernenden helfen können

«Wir hatten wahnsinnig Glück, all diese Mittel zur Verfügung zu haben». So habe man zum Beispiel eine E-Learning-Bibliothek aufgebaut, sich wöchentlich in Gruppen und in Einzelgesprächen zwischen Berufsbildenden und Auszubildenden digital ausgetauscht und nach anderen Lösungen gesucht. Statt Verkaufsgespräche zu führen, galt es für die Lernenden, einander verschiedene Abteilungen vorzustellen, um so ihre Sortimentskenntnisse zu erlangen.

Ein Privileg, das wohl nur möglich ist, weil Berufsbildner bei Ikea ein fixes Pensum haben, in dem sie nur für Berufsbildung zuständig sind und das also nicht «nebenbei» machen. Dennoch plagt sie die Unsicherheit: «Auch Ausbildner stehen vor Herausforderungen, vor schwierigen Fragen wie : Bin ich genug für die Lernenden da? Wie oft kann ich vorbeigehen? Soll ich anrufen?» Die Antwort gibt Petrovic: «Das Wichtigste ist, den Kontakt zueinander zu suchen und Gemeinsamkeit zu fördern.» Um das Erreichen von Ausbildungszielen zu sichern, müssten Firmen die eigenen Ziele zurückstellen und Lernende nicht bei lehrberufsfremden Aufgaben einsetzen, auch wenn das verlockend sei. Wie können Betriebe mit weniger Ressourcen diese Herausforderung meistern? Ebenfalls durch Kontakt – und zwar Kontakt zu anderen Betrieben, rät Jennifer Hasler. So habe Ikea einzelnen geschlossenen Lehrbetrieben, zum Beispiel Polydesignern, Raum für Dekorations- und Einrichtungseinsätze geboten, die sonst weggefallen wären. Damit wolle man auch soziale Verantwortung wahrnehmen, sagt Hasler.

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