Er will Wissen und Geld teilen
Der Würenloser Karl Wiederkehr war Initiator der Drittweltgruppen in Spreitenbach und Würenlos. Dem pensionierten Lehrer ist es auch ein Anliegen, hier für gesellschaftspolitische Themen zu sensibilisieren.
Karl Wiederkehr sitzt auf einem Stuhl in seinem Büro im Reiheneinfamilienhaus in Würenlos und nimmt einen Ordner hervor. Er blättert und zeigt auf ein Flugblatt, das mit 29.9.84 datiert ist. «Machen Sie mit beim 5. Hungermarsch» steht in fetter schwarzer Schrift. Wiederkehr schaut auf. Er erinnert sich noch ganz genau, wie in Spreitenbach alles begann. «Wir trafen uns zu einem Pfarreiweekend und bildeten unter anderem eine ökumenische Arbeitsgruppe, die wir ‹Gruppe 3. Welt Spreitenbach› nannten», sagt er. Das war im Jahr 1971. Bereits ein Jahr später unterstützten sie ihr erstes Drittweltprojekt.
Karl Wiederkehr blättert weiter im Ordner und nimmt einen Zeitungsartikel heraus, der im November 1972 im «Badener Tagblatt» darüber erschien. «Spreitenbach hilft Brasilien» lautet der Titel des über zweiseitigen (!) Artikels. Darin wird ausführlich beschrieben, wie 1952 im brasilianischen Vera Cruz aus ein paar baufälligen Hühnerställen ein «Bubendorf» entstand: 120 verwahrloste Jugendliche wurden aufgenommen, um in den als Schule, Schlafsaal und Speisesaal umgenutzten Tierställen zu leben, und sie konnten dank der in Sao Paulo ansässigen Schweizer schon bald in die aus Holz gebaute «Rancho Helvetia» umziehen. «Das war unser erstes Projekt», sagt Wiederkehr. Die Spenden erwirtschafteten sie nicht nur durch den damals sogenannten «Hungermarsch», sondern erhielten auch je 10000 Franken von der Ortsbürger- und Einwohnergemeinde.
1,4 Mio. Franken eingesetzt
«In den ersten 30 Jahren haben wir total 1,4 Millionen Franken für Projekte in Drittweltländern einsetzen können», rechnet Wiederkehr vor. Noch immer werden in Spreitenbach Sponsorenläufe für einen guten Zweck durchgeführt, mittlerweile ist die Schule die Trägerschaft der Solidaritätsläufe.
Hilfe vor Ort
Bis 1995 setzte sich Wiederkehr in der ‹Gruppe 3. Welt Spreitenbach› ein – trotz Umzug nach Würenlos. Allerdings nicht ohne sich auch am neuen Wohnort zu engagieren. Er war Initiator der Würenloser Drittweltgruppe, die 1993 gegründet wurde. Auch hier wird mit der Schule zusammengearbeitet. Mitarbeitende des Hilfswerks, das unterstützt wird, besuchen die Schüler vor Ort, damit die Kinder und Jugendlichen erfahren, wofür sie später mit dem «Solidaritätsmarsch» Geld sammeln. Mittlerweile wurde ein Verein gegründet, der vom katholischen Seelsorger Mario Stöckli präsidiert wird. Trotz Nähe zur Kirche ist der Verein politisch und konfessionell unabhängig. Bewusst wird jedes Jahr ein anderes Projekt unterstützt.
«Wir wollen aber nicht nur Geld sammeln, sondern auch über Probleme, Lösungsmöglichkeiten und Hilfe informieren», so Wiederkehr. Das ist dem pensionierten Sekundarlehrer wichtig. «Als ich noch Geografie unterrichtete, habe ich mit den Schülern auch über gesellschaftspolitische Fragen diskutiert.» Die Drittweltgruppe strebt Hilfe vor Ort an und will die Leute beispielsweise mit Bildungsangeboten zur Selbsthilfe animieren: «Damit sie nicht aus purer Not ihre Familie und ihr Land verlassen müssen.» Deshalb unterstützen die Würenloser vorwiegend Projekte im Bereich Bildung, den Bau von Wasserzugängen oder medizinische Anliegen wie Operationen von Grauem Star.
Am liebsten unterstützt die Gruppe Projekte, die einen Bezug zu Würenlos haben. Beispielsweise dasjenige von David Lorenzana, der in Würenlos aufwuchs, in Peru ein Praktikum machte und dort ein medizinisches Hilfsprojekt aufbaute.
Will etwas weitergeben
«Mir geht es gut, ich hatte einen erfüllenden Beruf und ich möchte denen etwas weitergeben, denen es weniger gut geht», begründet der 78-Jährige sein Engagement. Mit den 4300 Franken, die an der Solidaritätsaktion im September gesammelt wurden, wird das Hilfswerk «Selam» in Äthiopien unterstützt. Dabei erfuhren die Würenloser Schülerinnen und Schüler auch, dass die meisten Leute in diesem Land von einfacher Land- und Viehwirtschaft und vom Handwerk und Metallbau leben. Ganz im Sinne von Karl Wiederkehr, der eben trotz Pensionierung noch ein bisschen Lehrer ist und nicht nur gerne Geld, sondern auch Wissen teilt.