Spreitenbacher wollen ihr Netz behalten
Ab dem 1. November soll Sunrise UPC das Signal für das Kommunikationsnetz der Gemeinde liefern. An der Gemeindeversammlung sorgte der bevorstehende Wechsel des Anbieters für heftige Diskussionen.
Die Traktandenliste mit acht Geschäften (siehe Box rechts) war lange, doch die 79 Stimmberechtigten interessierte an der Spreitenbacher Gemeindeversammlung vorletzten Dienstag vielmehr ein Thema, das unter «Verschiedenes» nach dem offiziellen Teil des Anlasses angesprochen wurde. Es war dies der geplante Wechsel von der Firma GIB-Solution, die bisher das Signal für das gemeindeeigene Kommunikationsnetz lieferte, zu Sunrise UPC. Dieser Schritt bedeutet, dass die Nutzerinnen und Nutzer die in der Gemeinde beliebte E-Mail-Adressen-Endung «flashcable.ch» aufgeben müssen. Dies, weil die Domaine «flashcable.ch» nicht im Besitz der Gemeinde ist und vom aktuellen Signallieferanten GIB-Solution verwendet wird.
«Damit bei einer nächsten Ausschreibung die E-Mail-Adressen nicht mehr gewechselt werden müssen, hat die Gemeinde eine eigene Domain ‹spreiti.net› eingerichtet», informierte Gemeindepräsident Markus Mötteli (Mitte). Die Kundinnen und Kunden würden bis Ende Juni per E-Mail mit weiteren Informationen orientiert. «Wer seine E-Mail-Adresse mit der Endung ‹flashcable.ch› behalten möchte, muss sich mit der GIB-Solution in Verbindung setzen», sagte Mötteli.
Nur noch 83 Fernsehsender
Für rund 6000 Kabelnetzanschlüsse hat Spreitenbach seit mehreren Jahren als Netzbetreiberin fungiert und ein Angebot für Internet, Telefonie und Radio wie auch E-Mail-Adressen zur Verfügung gestellt. Doch weil der Gemeinderat sich nun auf seine «Kernkompetenzen besinnen und nicht als Provider auftreten» will, ist damit Schluss. Er hat den Signalliefervertrag neu ausgeschrieben. Alle möglichen Anbieter hätten ihre Offerten abgegeben, sagte Mötteli. Ins Auge gefasst wurde nun Sunrise UPC. «Der Kabelnetzbetreiber hat für uns das vorteilhafteste Angebot.» Mit dem Wechsel zeigte sich die Geschäftsprüfungskommission (GPK) nicht zufrieden. «Sie verlieren ihre bisherige E-Mail-Adresse ‹flashcable.ch› und müssen alle Computer und Mobiltelefone umstellen, alle Kontakte über die Änderungen informieren sowie alle Konten bei Banken, Versicherungen, Abodiensten und Onlineshops neu einrichten», zählte GPK-Mitglied Marcel Suter (SVP) die Auswirkungen des Systemwechsels für die Spreitenbacherinnen und Spreitenbacher auf.
Überdies wies er darauf hin, dass der Internet-, Radio- und Fernsehempfang von Sunrise UPC nicht 40 Franken pro Monat wie heute, sondern nach 12 Monaten 99 Franken monatlich kosten werde und beim neuen Anbieter nur noch 83 statt wie bei GIB-Solution 200 TV-Sender erhältlich seien. «Weil der neue Vertrag mit Sunrise UPC den Einwohnern riesige technische und finanzielle Nachteile bringt, stellt die GPK einen Rückweisungsantrag», sagte Suter. Man verlange, dass der Gemeinderat bis zur nächsten Gemeindeversammlung Ende November die offenen Fragen kläre und den Vertrag den Stimmberechtigten zur Abstimmung vorlege. Suter sagte: «Weil der Vertrag erhebliche finanzielle Folgen für die Einwohner hat, muss er gemäss dem Aargauer Gemeindegesetz zuerst vom Stimmvolk genehmigt werden.»
«Dass das neue Fernseh- und Radioangebot kleiner ist, stimmt schlichtweg nicht. Das Angebot zum gleichen Preis ist für ein Jahr garantiert. Danach ist dieser mit Sunrise UPC auszuhandeln», entgegnete Mötteli. Er habe die Zahlen direkt auf der Website von Sunrise UPC gefunden, antwortete Suter.
Bezüglich der Abstimmungspflicht bei derartigen Verträgen sagte Mötteli: «Es sei richtig, dass Ausgaben, welche die Gemeinde belasten und eine gewisse Grösse überschreiten, von der Gemeindeversammlung bewilligt werden müssen. Wir werden mit dem Systemwechsel aber keine zusätzlichen Ausgaben haben, sondern sogar Einnahmen generieren. Deshalb fällt dieser Vertrag in die Kompetenz des Gemeinderats und muss nicht der Gemeindeversammlung unterbreitet werden.»
Vertrag mit Bevölkerung diskutieren
Ein Votant wandte ein, dass es nicht um die Kosten gehe, sondern viel mehr um den Anbieter, den die Gemeinde ausgewählt habe. «Ich bin fast in Ohnmacht gefallen, als ich gehört habe, an wen die Gemeinde das Kommunikationsnetz auslagern will.» Sunrise UPC sei der letzte Partner, den man dafür auswähle. Das liege an der schlechten Servicequalität. «Wer ein Problem hat, muss lange warten, bis es gelöst wird», sagte der Votant. Wie das Projekt aufgegleist worden sei und nun umgesetzt werde, sei völlig daneben. «Spreitenbach läuft in eine Katastrophe.» Der Gemeinderat solle über seinen Schatten springen und über so etwas Wichtiges wie diesen Vertrag mit der Bevölkerung diskutieren und am Schluss darüber abstimmen lassen.
«Wir haben vor längerer Zeit erfahren, dass bei der GIB-Solution Restrukturierungen ein Thema sind und Existenz- und Übernahme-Fragen herrschen. Wir wussten nicht, ob es ‹flashcable.ch› noch lange geben wird oder nicht. Daher haben wir nach einer Nachfolgelösung gesucht», erklärte Gemeinderat Edgar Benz (SVP), Ressortvorsteher Werke.
Cashcow kommt auf Schlachtbank
Zum geplanten Systemwechsel äusserte sich auch Josi Bütler, Präsident der FDP Spreitenbach. Er habe damals zu «flashcable.ch» gewechselt, weil er der Überzeugung war, dass die Gemeinde ein verlässlicher Vertragspartner sei. «Heute wurde ich eines anderen belehrt. Ich bin überrascht, dass man eine Cashcow zur Schlachtbank führt.» Es sei Fakt, dass man in einem Jahr das dreifache von heute für Internet, Fernseh und Radio bezahlen müsse. «Für mich ist das ein Abbau des Service public», sagte Bütler. Solange nicht alles geklärt sei, dürfe der Gemeinderat diesen Vertrag mit Sunrise UPC nicht unterschreiben. «Sonst verliert der Gemeinderat seine Glaubwürdigkeit bei seinen Stimmbürgern.»
Nach wiederholtem Schlagabtausch mit Marcel Suter und der im Raum stehenden Unsicherheit, ob man über den Überweisungsantrag der GPK in dieser Form abstimmen lassen könne, lenkte Mötteli ein und schlug vor, die offenen Fragen und Anliegen zu klären und die Stimmberechtigten zu einem späteren Zeitpunkt zu informieren.
In den Wirren um die Zukunft des Kommunikationsnetzes ging der Abschied des langjährigen Gemeindeschreibers Jürg Müller beinahe unter. Müller startete seine Karriere bei der Gemeindeverwaltung Spreitenbach 1986 als Verwaltungsangestellter auf dem Steueramt. Im Alter von 22 Jahren wurde er bereits zum Stellvertretenden Gemeindeschreiber ernannt. «Der damalige Gemeinderat hatte recht mit seiner Einschätzung. Es hiess damals, dass, wenn er sich ins Zeug lege, er zu einem wertvollen Mitarbeiter heranreifen könne», sagte Mötteli. Genau das sei eingetreten. 2003 übernahm Müller das Amt des Gemeindeschreibers. «Du warst dem Gemeinderat eine riesige Stütze und hinterlässt in Spreitenbach eine grosse Lücke. Wir möchten dir für deinen Einsatz danken», sagte Mötteli und überreichte Müller einen Geschenkkorb und mehrere Gutscheine. Zum Schluss ergriff sogar Müller das Wort: «Der Gemeindeschreiber äussert sich an der Gemeindeversammlung nicht, doch heute mache ich eine Ausnahme. Ich habe mich mit Herzblut für die Gemeinde Spreitenbach eingesetzt und durfte mit interessanten Menschen und guten Teams zusammenarbeiten. Das hat mein Leben bereichert. Ich danke meinem Personal und Ihnen, der Bevölkerung, für Ihr Vertrauen.»
Alle Geschäfte wurden bewilligt
Die Stimmberechtigten gaben allen acht Geschäften an der Gemeindeversammlung grünes Licht. So der Jahresrechnung 2021, die mit einem Plus von fast zehn Millionen Franken abschloss. Trotz des sehr erfreulichen Resultats wurde jedoch Kritik laut. «Die Gemeinde hat in den letzten zwei Jahren einen Überschuss von 18 Millionen Franken erwirtschaftet. Es ist Zeit für eine Kursänderung in der Budgetpolitik», sagte Josi Bütler, Präsident der FDP Spreitenbach. Er machte eine erneute Steuerfusssenkung beliebt und forderte zudem Projekte für die Jugend wie etwa einen Skatepark oder ein breiteres Angebot im Hallenbad für Familien. Angenommen wurde auch der Kredit von über 3,14 Millionen Franken zum behindertengerechten Ausbau von 20 Bushaltestellen. Der Gemeinderat wollte das Projekt gestaffelt bis 2025 umsetzen und die stark frequentierten Bushaltestellen dabei priorisieren. Die GPK verlangte, dass die Haltekanten aller 20 Busstopps bereits bis Ende 2023 erhöht werden, so wie es das Behindertengleichstellungsgesetz seit 2004 verlange. Dieser Antrag wurde von den Stimmberechtigten unterstützt. Überdies genehmigten sie die Kreditabrechnung zum Anbau Schulhaus Boostock, einen Kredit für die Sanierung der Härdlistrasse, einen Kredit für die Planung und Erneuerung des Boostockstegs sowie einen Kredit für die Dokumentation der Netzplanung des Kommunikationsnetzes. Bewilligt wurden überdies das Protokoll der Gemeindeversammlung vom 23. November 2021 und der Rechenschaftsbericht aus dem Jahr 2021. (sib)