Wie zugänglich darf Bildung sein?
Das kantonale Streichkonzert erreicht die Volkshochschulen. Nicht musikalisch, sondern buchhalterisch. Die finanzielle Unterstützung wird ab nächstem Jahr der Vergangenheit angehören.
Darf Bildung zugänglich sein? Eine Frage, die sich eigentlich nur mit einer Antwort beantworten lässt. Vor allem in einem Land, das so viel Geld hat wie die Schweiz. Trotzdem kam letztes Jahr dicke Post vom Kantonalen Departement Bildung, Kultur und Sport (BKS) in die Briefkästen der zehn Aargauer Volkshochschulen (VHS). Leer geschluckt dürften dabei wohl auch Philippe Rey, der der VHS Wettingen vorsteht, und Denise Dittli, Präsidentin der VHS Spreitenbach. Die finanzielle Unterstützung wird gestrichen.
Geld weg, weil vielleicht den
Sinn nicht verstanden?
120000 Franken gestrichen, da nicht als notwendig angesehen. So kann man das erhaltene Schreiben interpretieren. Gemäss dem kantonalen Rechtsdienst entsprächen die Volkshochschulen nicht dem Gesetz für berufliche Weiterbildung. Also gibt’s auch kein Cash. Dicker Tobak für die beiden Vorstehenden zweier Volkshochschulen: «Es war ja auch nie die Idee unserer Volkshochschule, berufliche Weiterbildung anzubieten», erklärt Philippe Rey. «Die Volkshochschulen bieten Kurse, unabhängig von beruflicher Herkunft. Das ist der Sinn dahinter», ergänzt Denise Dittli. Wurde der Sinn einer Volkshochschule nicht verstanden?
Geringschätzung einer
Bürgerbewegung
1945: Die Welt liegt in Trümmern. Unsicherheit, Rohstoffknappheit und Armut sind an allen Ecken und Enden Europas anzutreffen. Der Weg aus der Krise erfordert ein grosses Umdenken. Auch der Bildungssektor muss sich neu erfinden. Keine Staatsunterwürfigkeit, sondern selbstdenkende, mündige Bürgerinnen und Bürger sollen das Fundament der Zukunft sein. Auch daraus entstanden in den Folgejahren die ersten Volkshochschulen im Aargau, gut 40 Jahre nach den ersten Volkshochschulen in den Kantonen Basel und Zürich. Heute existieren noch rund 70 VHS in der Schweiz – in anderen Kantonen auch «Université Populaire» genannt. Sie sind in einem Verband zusammen organisiert und garantieren so die Qualitätskontrolle. Für viele Aargauer seien sie eine Entschädigung gewesen für die gescheiterte Hochschule im Kanton. Seither lehrt man an diesen Institutionen von Kochen über Latein und Conversation française bis hin zum Ausfüllen der Steuererklärung vieles, was nicht der gesetzlichen Definition der beruflichen Weiterbildung entspricht, jedoch die Bevölkerung bildet. Seien es praktische Lebenshilfen oder Philhellenismus: Die Volkshochschulen bieten ein breites Spektrum. Notabene von engagierten VHS-Vorständen, die grösstenteils gratis Hunderte von Kursen organisieren. An Ironie kaum zu übertreffen ist dabei der «Lösungsvorschlag» vonseiten des Kantons. Würden die VHS berufliche Weiterbildungen anbieten, würden diese Angebote unterstützt werden. Nur: Wem bringt das etwas? «Wir müssen ja alle laufenden Kosten, die wir bereits haben, auch decken», meint Dittli dazu. Für sie und Rey ein schlechter Witz. Und alles andere als eine Unterstützung. Personelle und finanzielle Aufwände erhöhen, um wirtschaftlicher zu werden? Betriebswirtschaftlicher Nonsens.
Wie zugänglich darf Bildung sein?
Die VHS Wettingen bietet rund 80 Kurse im Jahr an. In Spreitenbach sind es über 100. Sie zeichnen sich durch geringe Kosten und Offenheit aus. Jeder darf teilnehmen, unabhängig von Vorbildung und beruflicher Herkunft. Neun von zehn im Kanton arbeiten dabei mit «welante», einer Software, die 2022 «State of the art» im Kurswesen ist. Bezahlbare Kurse, professionell geführt, abseits der beruflichen Weiterbildung? Zu viel für den Kanton, scheint es. Bereits jetzt befinden sich die Volkshochschulen in einem harten Wettbewerbsfeld zwischen Fachhochschulen, privaten Kursanbietern und digitalen Angeboten. Die gestrichene Finanzierung seitens Kanton giesst zusätzliches Öl ins Feuer. Es drängt sich die Frage auf: Wie zugänglich darf Bildung sein? Die beiden VHS sind zwar zuversichtlich, eine einvernehmliche Lösung zu finden. In der Zwischenzeit aber fehlt ihnen die jahrzehntelang gewährte bescheidene Unterstützung durch den Kanton.