Chips wurden von der Beilage zum Snack

«Museum Aargau» gibt ein Buch über die Geschichte der Pomy-Chips AG heraus. Darin erfahren die Leser, warum die Produktion nach Spreitenbach verlagert wurde.

Arbeiterinnen bereiten die Chips-Verpackungen für die Lieferung vor. Archiv Zweifel Pomy-Chips AG

Arbeiterinnen bereiten die Chips-Verpackungen für die Lieferung vor. Archiv Zweifel Pomy-Chips AG

Ruth Wiederkehr ist die Autorin. zVg

Ruth Wiederkehr ist die Autorin. zVg

«Bei uns daheim gab es nie Chips», sagte Ruth Wiederkehr vor einer Woche an der Vernissage des zweiten Bandes zu Aargauer Industriegeschichten. Im Auftrag von «Museum Aargau» hat die Historikerin die Geschichte der Zweifel Pomy-Chips AG aufgerollt und in den Archiven auch viel Bildmaterial gefunden, beispielsweise alte Werbeinserate. «Anhand von ihnen kann man sehen, wie sich die Essgewohnheiten in den letzten 60 Jahren immer wieder verändert haben.» Ende der 1970er-Jahre wurde damit geworben, die Paprika-Chips als Beilage zum gebratenen Poulet im Römertopf zu servieren. Heute gibt es als Snack Vaya-Chips aus Bohnen, geworben wird mit Eigenschaften wie vegan, laktose- und glutenfrei.

Im 72-seitigen Buch wird auch auf die Anfänge der Firma aus dem zürcherischen Höngg zurückgeblickt: Das Familienunternehmen Zweifel entstand 1898 und war am Anfang in der Weinproduktion tätig. Als die Nachfrage sank, produzierten sie Most und später Süssmost. 1958 frittierte die Familie Zweifel aus Höngg erstmals Kartoffelscheiben, die sie gesalzen und gewürzt als Pommes-Chips vertrieben. Der Absatz wuchs von 80 Tonnen (1960) auf 1450 Tonnen (1968). Eine grössere Produktionsstätte musste her. In Zürich gab es aber keinen Platz für solche Industriebauten mehr. Anders ennet der Kantonsgrenze. Im Buch wird die beispiellose Planungs- und Bautätigkeit der 1950er-Jahre beschrieben: Bevor die Gemeindeverwaltung Spreitenbach eine Bauordnung hatte erstellen können, wurde ein erstes Hochhaus errichtet, das landesweit Aufsehen erregte und dessen Bau harte juristische Auseinandersetzungen zur Folge hatte. Erst ab 1956 entstand eine Zonenplanung.

Entsprechend unkompliziert kam die Familie Zweifel zu ihrer neuen Fabrik, die 3,8 Millionen Franken kostete. Zwischen der ersten Anfrage im November 1968 und dem Produktionsstart im Mai 1970 vergingen nicht einmal zwei Jahre. Und das, obwohl die Fabrik auf der grünen Wiese entstand, wo es an befestigter Strasse, Wasserzufuhr, Kanalisationsbauten und Elektrizität fehlte.

Als Dank für die Landabgabe im Baurecht über 75 Jahre erhielten die Spreitenbacher Ortsbürger an der Sommergmeind 1969 als «Naturalgabe» Pommes Chips. «Es scheint, als hätten die Ortsbürger Freude gehabt, dass die Firma nach Spreitenbach zog, und man hat gegenseitig dafür gesorgt, dass die Beziehung gut erhalten bleibt», resümiert Wiederkehr.

Ehemalige Mitarbeitende erzählen

Im Buch werden auch ehemalige Mitarbeitende porträtiert. Eine von ihnen ist Suzanna Gfeller, die in Paris zur Welt kam und von 1968 bis zur Pensionierung im Jahr 2004 als Sekretärin von Hans-Heinrich Zweifel arbeitete. Sie hatte die Prokura und kannte die Abläufe wie kaum eine andere Person. «Dass ich eine Vollmacht hatte, war einigen ein Dorn im Auge», wird sie im Buch zitiert.

Ihre besondere Stellung zeigte sich auch darin, dass ihr Chef von seinen zwei «femmes» sprach: eine «femme de jour» und eine «femme de nuit». «Das ist eine meiner Lieblingsgeschichten im Buch», sagt Wiederkehr und schmunzelt. Die Akzeptanz und Lockerheit, mit der Gfeller über diesen Scherz ihres ehemaligen Chefs spricht, verdeutliche den Wandel der Zeit.

Zeigt Wandel der Gesellschaft

Herausgeberin des Buches ist «Museum Aargau», eine Sektion der Abteilung Kultur im Departement Bildung, Kultur und Sport (BKS) des Kantons Aargau. Im zweiten Band seiner 2021 lancierten Reihe der «Aargauer Industriegeschichten» widmet es sich dem Familienunternehmen Zweifel, «weil es exemplarisch für den Wandel der Gesellschaft zu einer Konsum- und Freizeitgesellschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts steht», schreibt das Unternehmen in einer Medienmitteilung. «Zur modernen, von Amerika inspirierten Lebensweise, die im Zeichen der Beschleunigung und Effizienz stand, gehörten auch neue Essensgewohnheiten wie Fertiggerichte und das Snacking mit Pomy-Chips von Zweifel», begründet Rudolf Velhagen, Chefkurator Museum Aargau und Projektleiter der Publikation.

Bei Autorin Ruth Wiederkehr gibt es mittlerweile daheim auch ab und zu Chips – zum Beispiel als Belohnung nach getaner Recherche- und Schreibarbeit.

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