Rückblick auf über ein Jahrhundert

Willy Näf ist eben 101 Jahre alt geworden. Reporterin Linda Mülli hat den rüstigen Rentner in der Alterssiedlung Sonnmatt in Neuenhof besucht und schildert ihre Eindrücke.

101 Jahre Lebenserfahrung: Jubilar Willy Näf. Foto: lm
101 Jahre Lebenserfahrung: Jubilar Willy Näf. Foto: lm

«Es haben schon viele über mich geschrieben», sagt mir Willy Näf gleich zu Beginn. Vielleicht zu viele. Denn den 101-jährigen Jubilar scheint der ganze Rummel um seine Person eher zu ermüden als zu freuen. Schliesslich ist er eben nur einige Jahre älter geworden als der Durchschnitt. Ich setze mich dennoch. Ihm mache sein Alter zu schaffen, vertraut mir Willy Näf an: «Wissen Sie, früher war ich noch fit, konnte mich frei bewegen. Ich ging gerne wandern. Nun bin ich stets auf Hilfe angewiesen.»

Existiert seit seinem 100. Geburtstagsfest sogar ein kleiner Film im Internet, worin ihm eine Kiste «Stumpen» überreicht wurde, sind die offiziellen Gratulationen heuer zu Kurznachrichten geschrumpft. Doch von seinem nahen Umfeld hat er zum Geburtstag viele Karten und mehrere Flaschen Wein erhalten: «Die werden bestimmt nicht sauer», lacht er. Nur der Mini-Kuchen aus Schokolade vertrocknet langsam auf dem Tisch. Die eine Kerze symbolisiert wohl das eine Jahr.

Bevor ich zu Besuch kam, hat Willy Näf eben Nummern aus dem Telefonbuch gesucht, Bonbons gelutscht und Radio Beromünster gehört. Im Aschenbecher liegen einige Zigarrenstummel. Er will sich telefonisch für die Glückwünsche bedanken. «Meine Schrift ist nicht mehr so sauber wie früher», lautet seine Begründung. Im Unterton leises Bedauern.

Dann will mir Willy Näf die vielen Artikel zeigen, die sein hohes Alter dokumentieren. Wir finden sie nicht. Stattdessen schauen wir Familienfotos an, säuberlich gelagert in einem roten Couvert. Es sind Erinnerungen an frühere Geburtstage, Willy Näf noch mit grauen Haaren, er zu Besuch bei seiner nun leider verstorbenen jüngsten Schwester, das Hochzeitfoto einer Enkelin, dann eine Neujahrskarte mit einem der zehn Urgrossenkel, die Grossfamilie versammelt. Willy Näf lächelt und kommentiert. Seine Erinnerungen sind plastisch.

Bei der BBC habe er gearbeitet, als Maschinenschlosser. Dann im Birrfeld. Manchmal musste er Kontrollarbeiten im Ausland ausführen: Frankreich, Portugal, Spanien. Doch eigentlich sei er immer hier in Neuenhof verwurzelt gewesen, wo er auf einem Bauernhof zusammen mit sechs Geschwistern aufgewachsen ist. Erst mit 30 Jahren hätte er geheiratet. «Gerne hätten wir die eiserne Hochzeit gefeiert…», sagt Willy Näf und bricht dann ab, hängt den Gedanken nach.

Seit 2003 ist er Witwer und wohnt in der Alterssiedlung Sonnmatt. Erst seit vier Jahren schläft der Jubilar in der Pflegeabteilung. Doch seine Wohnung, wo wir am Tisch sitzen, hält er immer noch selbst. Sie ist sein Rückzugsort. «Unten wird es mir oft langweilig, hier jedoch kann ich tun und lassen, was ich will.» Wieder wird deutlich, wie sehr ihm die Diskrepanz zwischen fittem Geist und schwachem Körper zu schaffen macht.

Doch wir wenden uns noch einmal dem Positiven im Jetzt zu: Ich betrachte den Stammbaum, der irgendwer gebastelt hat und nun zwischen Fernsehbildschirm und Vitrine hängt. Darauf abgebildet sind die drei Generationen nach Willy Näf, eine Reihe Kinder, Enkel und Urenkel. Dann entdecke ich auf dem Tisch, halb versteckt unter dem Telefonbuch, eine Illustrierte. Schweizer Olympiateilnehmer lachen dem Betrachter vom Deckblatt entgegen. Als ich ihn auf die Spiele anspreche, sagt Willy Näf sogleich: «Die Spiele hab ich natürlich verfolgt.» Auch verpasse er kaum ein Fussballspiel oder Tennisturniere, fährt er fort und erklärt, dass er früher selbst im Turnverein gewesen sei. Dann sprechen wir darüber, dass er gerne hätte Lehrer werden wollen. Leider hätten seine Eltern das nötige Geld nicht gehabt. Seine Kinder aber sind gut ausgebildet. Und auf sie, spüre ich, ist Willy Näf stolz.

Allmählich wird Willy Näf müde und es ist Zeit für mich zu gehen.

Das Gespräch hat mich sehr gefreut, jedoch auch nachdenklich gestimmt: Kinder werden behütet, Teenager auf das Erwachsenwerden vorbereitet. Dann ist in unserer Gesellschaft ein Lebensabschnitt der familiären und sozialen Selbstverwirklichung vorgesehen. Doch wer bereitet uns auf das (hohe) Alter vor?

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