Die stille Last der Angehörigen
Regina Meier-Krebs ist Demenzberaterin bei Pro Senectute und kennt die Last, die Angehörige tragen. An einem Vortrag geben sie, eine weitere Beraterin und ein Arzt Einblick in die Krankheit.

Unter dem Titel «Demenz – Die Krankheit der Angehörigen?» lädt die Pro Senectute am 1. April zu einem Vortrag ein. Sie legen den Fokus auf die Angehörigen von Demenzpatienten – warum? Regina Meier-Krebs, Demenzberaterin Pro Senectute: Die meisten Beratungsgespräche führen wir mit Angehörigen. Dabei merken wir, wie sehr belastet sie sind. Ohne die Angehörigen wäre es für die Betroffenen sehr schwierig. Deshalb ist es so wichtig, dass die Angehörigen auftanken können und gut für sich sorgen. Das ist der Grund, dass wir an diesem Vortrag den Fokus bewusst auf die Angehörigen legen.
Sind es auch die Angehörigen, die als erstes Alarm schlagen? Ja, ich erlebe oft, dass sie zuerst in die Beratung kommen, weil die Mutter, der Vater oder der Partner viel vergisst, dies aber oft dem Umfeld zuschreiben. Sie machen sich Sorgen und kommen erst mal alleine in die Beratung. Das ist vielfach hilfreich, weil sie dann ohne Hemmungen von ihrer Not und den Herausforderungen erzählen können.
Was sind erste Anzeichen? Es gibt keine 08/15-Antwort, die Krankheit kommt schleichend, oft weiss man gar nicht mehr genau, wann sie begann. Vielfach fällt zuerst auf, dass das Kurzzeitgedächtnis nachlässt. Die betroffene Person vergisst Sachen, die sie immer wusste, es kann sein, dass die Orientierung stetig nachlässt, das führt dazu, dass Termine vergessen werden. Das passiert halt, denkt man zuerst. Sollten solche Anzeichen sich über längere Zeit wiederholen, könnte dies ein Zeichen einer beginnenden Demenz sein. Vielleicht gibt es aber auch eine andere Ursache.
Wann soll man Hilfe holen? Dann, wenn es beginnt, die betroffene Person oder dessen Angehörige zu belasten. Etwa, wenn es zu Konflikten führt, weil die Vergesslichkeit fortschreitet. Es ist gut, frühzeitig Hilfe zu holen, wenn die Person noch handlungsfähig ist und beispielsweise einen Vorsorgeauftrag, eine Patientenverfügung machen, ein klärendes Gespräch führen oder die eigene Geschichte aufschreiben kann.
Wie viel Zeit haben Betroffene? Es wäre schön, das zu wissen. Doch bei der Demenzerkrankung gibt es nur Wahrscheinlichkeiten. Viele merken zu Beginn, dass etwas in ihrem Kopf sich verändert, das sie nicht im Griff haben, dies kann eine Traurigkeit, einen Rückzug oder sogar eine Depression auslösen. Eine Demenzerkrankung kann auch Personen vor dem Pensionsalter betreffen. Teilweise schreitet die Erkrankung dann schneller voran. Die Gefahr, an einer Demenz zu erkranken, steigt ab dem 65. Altersjahr und nimmt danach stetig zu.
Es gibt keine Heilung, ist die Diagnose trotzdem wichtig? Für viele ist es hilfreich, wenn sie wissen, dass eine Demenzerkrankung vorliegt und das Gehirn immer schlechter wird. Es ist eine Krankheit. Dieses Wissen hilft Angehörigen oftmals, sie können sich besser darauf einstellen, wenn sich die Person zum Beispiel nicht mehr orientieren kann, vergesslich wird, die Sprachfähigkeit verliert, das abstrakte und logische Denken nachlässt. Es hilft, zu wissen, dass sie sich nicht aus Trotz nur leicht bekleidet, wenn es kalt ist, sondern weil sie den Zusammenhang zwischen Kälte und warmer Kleidung nicht mehr herstellen kann. Es kann sein, dass sich das ganze Wesen verändert. Für die Angehörigen ist es ein langsamer Abschied. In jeder Phase bricht etwas Altes ab und geht verloren. Für die Angehörigen ist es ganz wichtig, mitgehen zu können.
Was hilft auf diesem Weg? Wir Menschen wollen meist eine Lösung, wollen das «Problem» weghaben. Doch die Krankheit ist nicht heilbar, es kann hilfreich sein, sich auf den Weg der Akzeptanz und Annahme dieser neuen Situation zu machen. Das ist nicht einfach und nicht gerecht. Deshalb darf man auch mal schimpfen, das gehört dazu. Wichtig ist auch, sich selber nicht immer zurückzustellen, sondern zu versuchen, gut für sich zu sorgen. Die Demenzberatung der Pro Senectute bietet Hand, wir begleiten, schauen, was der nächste Schritt sein könnte. Wir geben detaillierte Informationen über die Demenzerkrankung und Anleitung für den Umgang im Alltag. Wir weisen auf Entlastungsmöglichkeiten hin.
Können Sie ein Beispiel nennen? Ein Angehöriger fragt immer wieder, wann der Arztbesuch ansteht. Diese Wiederholungen sind anstrengend. Es kann helfen, kurze, klare Antworten zu geben. Diskussionen funktionieren nicht mehr, es ist also sinnlos, den ganzen Ablauf zu erklären, sondern besser, innerlich durchzuschnaufen und zu erklären: «Wir gehen um 11 Uhr, mach dir keine Sorgen.»
Nicht einfach, gerade wenn Vorwürfe oder Aggression hinzukommt. Um sich abgrenzen zu können, kann das Wissen helfen, dass die Person es nicht mit Absicht macht, sondern der Kopf nicht mehr mitmacht. Und ich ermutige Angehörige, Hilfe anzunehmen. Es gibt Entlastungsdienste, Angehörige sollten die Betreuung nicht allein meistern müssen.
Demenz ist eine Krankheit, haben Sie mehrmals betont, gibt es Präventivmassnahmen, um sich zu schützen? Bewegung an der frischen Luft, ausgewogene Ernährung, Sozialkontakt und vielleicht auch die Einstellung zum Leben haben einen positiven Einfluss. Der Grund für eine Demenzerkrankung ist noch nicht im Detail erklärbar und somit auch nicht, warum die einen Menschen erkranken und die anderen nicht.
Vortrag: Dienstag, 1. April, 19 Uhr, Berufsschule BBB Martinsberg in Baden, Infos: ag.prosenectute.ch.
Alzheimer-Demenz ist die häufigste Form
Demenz ist ein Überbegriff für Hirnleistungsstörungen mit unterschiedlichen Ursachen. Sie führt zu einem zunehmenden Verlust an Erinnerungs-, Orientierungs- und Kommunikationsvermögen und selbstständiger Lebensführung. Gemäss Bundesamt für Gesundheit (BAG) leben in der Schweiz schätzungsweise gegen 156900 Menschen mit Demenz. Jährlich kommen rund 33800 Neuerkrankungen hinzu (2024). Die häufigste Form (ca. 60 %) der Demenz ist die Alzheimer-Demenz. Diese wird durch degenerative Hirnveränderungen verursacht, deren Entstehung bis heute nicht vollständig geklärt werden kann. Menschen mit Demenz sind zu einem Grossteil hochaltrige Personen und zu zwei Dritteln Frauen. Der weitaus grösste Teil der an Demenz erkrankten Menschen lebt zu Hause. Angehörige und weitere nahestehende Personen unterstützen sie bei den Aktivitäten des täglichen Lebens und übernehmen die Betreuung und die Pflege in der fortschreitenden Hilfsbedürftigkeit und Abhängigkeit. (Quelle: BAG)