Eine Reise durch Raum und Zeit
Das «Cinema Ritrovato» in Bologna zeigt fast vergessene Filmperlen. Autor Philippe Neidhart war am Festival dabei und wird im nächsten Jahr zurückkehren.
Unzählige Torbögen säumen die malerischen Gässchen Bolognas mit ihren rötlichen Hausfassaden – Caffè laden zum Verweilen ein, an jeder Strassenecke gibt es etwas zu entdecken. Doch für mich beginnt der heisse Sommermorgen wie schon am Tag zuvor im Kinosessel, auf dem Programm steht diesmal «Gharibeh Va Meh» des iranischen Filmemachers Bahram Beyzai aus dem Jahr 1974. Für Dekaden war dieser Film verschollen und wurde erst vor kurzem in Kleinstarbeit vom originalen Kamera- und Soundnegativ restauriert. Möglich gemacht hat dies die «Cineteca di Bologna» – ein international renommiertes Zentrum für die Konservierung und Restaurierung von Filmen. Seit 37 Jahren organisieren sie jeden Sommer das «Cinema Ritrovato», an dem fast vergessene kinematische Meisterwerke und versteckte Filmperlen aus aller Welt gezeigt werden. Das Festival bietet während neun Tagen die einzigartige Gelegenheit, in die Geschichte des bewegten Bildes einzutauchen – eine Reise durch Raum und Zeit zu den Ursprüngen und Glanzstunden des Kinos. Auch an diesem Morgen lasse ich mich in eine mir fremde Welt entführen, bevor es nach über zwei Stunden wieder zurück in die Realität und an die frische Luft geht.
Älteste Universität der Welt
Zwischen den Filmen bleibt Zeit, um die Stadt zu erkunden: Nicht nur steht in Bologna die älteste Universität der westlichen Welt, auch für ihre beiden Geschlechtertürme und kulinarische Vielfalt ist der Hauptort der Emilia-Romagna bekannt. Und wenn die Sonne langsam am Horizont verschwindet, wird es Zeit für die abendliche Filmvorführung auf der Piazza Maggiore: Die geschichtsträchtige Kulisse mit der kolossalen Basilika San Petronio – immerhin die fünftgrösste Kirche der Welt – und dem Neptunbrunnen verleiht der kollektiven Erfahrung eine fast schon magische Atmosphäre. Touristinnen und Touristen sowie Einheimische, die zufällig über den Platz schlendern, setzen sich neben mir auf den noch warmen Boden und werden Teil des Ereignisses. Wir alle vergessen für ein paar Stunden den hektischen Alltag, lachen zusammen, fühlen gemeinsam mit den Figuren, erleben gemeinsam ein Abenteuer. Auch dies trägt zur besonderen Magie des «Cinema Ritrovato» bei; es verbindet Menschen verschiedenster Couleur.
Für mich steht deshalb jetzt schon fest: Ich werde auch im kommenden Jahr wieder nach Bologna fahren, um mich vom filmischen Schaffen aus längst vergangener Zeit verzaubern zu lassen – «Dolce Vita» inklusive.