Eine Pflicht, die man erfüllen muss

Die Gemeinde unterstützt Sozialhilfeempfänger mit dem Projekt «Littering Bahnhof Neuenhof» auf dem Weg zurück in die Arbeitswelt.

R.M.* reinigt im Rahmen eines Projekts das Bahnhofgelände. Foto: se
R.M.* reinigt im Rahmen eines Projekts das Bahnhofgelände. Foto: se

Morgens zwischen sieben und neun Uhr trifft man am Bahnhof Neuenhof auf Männer in gelben Westen, die mit Abfallsack und Greifzange ausgerüstet das Bahnhofsareal von Unrat befreien. Einer der Männer ist der 52-jährige R.M.* aus Neuenhof. R.M. ist arbeitslos und bezieht seit September 2014 Sozialhilfe. Seit Anfang September 2015 reinigt er neben zwei anderen Männern den Bahnhof und unterhält die Grünflächen. Er ist Teilnehmer am Pilotprojekt «Littering Bahnhof Neuenhof» und gleichzeitig Betreuer der anderen Sozialhilfeempfänger, die daran partizipieren. «Ich finde es gut, dass ein derartiges Projekt existiert. Es gibt den Leuten eine gewisse Struktur. Man hat eine Pflicht, die man erfüllen muss», sagt R.M. Er erhofft sich durch seinen Einsatz eine gute Referenz und im Idealfall eine feste Arbeitsstelle.

Die Sozialen Dienste der Gemeinde haben das Projekt in Zusammenarbeit mit dem Werkhof Neuenhof im Sommer 2015 ins Leben gerufen. «Wir wollen die Sozialhilfeempfänger unterstützen, damit sie nach Jahren der Arbeitslosigkeit wieder einen Grund haben, morgens aufzustehen und über eine Tagesstruktur verfügen. Das Projekt soll ihnen helfen, wieder Fuss in der Arbeitswelt fassen zu können», erklärt Sozialarbeiterin Natasa Piljagic den Sinn und Zweck des Projekts.

Da Rückmeldungen verschiedener externer Beschäftigungsprogramme ausblieben oder zu spät erfolgten, beschloss die Gemeinde, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und ein Projekt zu starten. «Der Vorteil gegenüber einem externen Programm ist, dass wir so näher an den Sozialhilfeempfängern sind, einen besseren Überblick haben und eins zu eins erleben, wo ihre Stärken und Schwächen sind», sagt Piljagic. Zudem bestehe so die Möglichkeit, früher zu erkennen, wo Probleme liegen und wo Unterstützung benötigt wird und dementsprechend zu reagieren.

Für ihre Arbeit, die ungefähr einer Teilzeitstelle von 25 Prozent entspricht, wird den Projektteilnehmern ein Lohn entrichtet. Der wird ihnen von der Gemeinde, bei der sie für drei Monate befristet angestellt sind, bezahlt. Die Differenz zum gesprochenen Sozialhilfebeitrag wird von der Sozialhilfe übernommen. «Auf diese Weise vermindern sie die Rückerstattungspflicht des Sozialhilfegeldes», zählt Gemeinderat Andreas Muff einen weiteren Nutzen für die Teilnehmer auf. Am Ende des dreimonatigen Einsatzes erhalten sie zudem ein Arbeitszeugnis. «Mit einem aktuellen Zeugnis sind die Personen auf dem Arbeitsmarkt besser vermittelbar», sagt Muff.

Die Wunschvorstellung der Gemeinde ist klar: die Wiedereingliederung in die Arbeitswelt. Einem ehemaligen Projektteilnehmer ist dies bereits gelungen. Er hat eine temporäre Anstellung gefunden.

Das Pilotprojekt stösst auf grossen Anklang seitens der Sozialhilfeempfänger. «Die Nachfrage ist grösser als wir Einsatzmöglichkeiten zur Verfügung haben», sagt Cornelia Spadanuda, Leiterin der Sozialen Dienste. 15 Personen interessieren sich für eine Teilnahme. Das Pilotprojekt läuft noch bis Ende Juni 2016. Danach will man auswerten. Ziel sei es, dass das Programm nicht mehr nur ein Projekt darstelle, sondern einen festen Bestandteil der Gemeinde bilde und längerfristig angeboten werde, so Gemeindeschreiber Raffaele Briamonte.

Ein weiteres Angebot der Gemeinde für Sozialhilfeempfänger ist ebenso auf Kurs. Mit dem Arbeitgeber/Klienten-Konzept will man Sozialhilfeempfänger durch Beschäftigungen in den Arbeitsmarkt zurückführen. «Sie sollen so wieder fit gemacht werden für die Arbeitswelt», erklärt Muff. Konkret heisst das, dass Sozialhilfeempfänger aus Neuenhof die Gelegenheit erhalten, in unterschiedlichen Betrieben drei- bis sechsmonatige Praktika zu absolvieren . Am Ende der Tätigkeit kriegen sie ebenso ein Arbeitszeugnis.

Das Arbeitgeber/Klienten-Projekt soll den beteiligten Firmen als positives Beispiel für eine Kollaboration mit Sozialhilfeempfängern dienen. Drei Personen machen bereits ein Praktikum im Bereich Pflege- und Kinderbetreuung, Hauswirtschaft und Wäscherei. Abgeklärt wird ein Praktikum im Informatikbereich für eine vierte Person. Die Gemeinde übernimmt die finanzielle Regelung während der Praktikumsdauer und kommt für die Sozialabgaben sowie die Versicherung auf. «Wir sind kein Stellenvermittlungs- oder Temporärbüro und möchten nicht mit dieser Branche konkurrenzieren», betont Muff. Es gehe wirklich darum, die Vermittelbarkeit der Langzeitarbeitslosen zu optimieren.

Die Gemeinde ist auf der Suche nach weiteren Betrieben, die Praktika zur Verfügung stellen. Die Projektverantwortlichen zeigen sich erfreut über den bisherigen Verlauf der beiden Angebote: «Es ist eine schöne Erfahrung, dass vom Werkhof bis zum Gemeinderat alle am gleichen Strang ziehen. Das Projekt und das Konzept motivieren nicht nur die Sozialhilfeempfänger, sondern auch uns selbst», sagt Piljagic.

* Name der Redaktion bekannt

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