Kinder lernen Eigenverantwortung im Wald

Einmal pro Monat bietet der Verein Waldexperiment im Wettinger Wald ein Programm für Kinder und Jugendliche zwischen 7 und 12 Jahren an. Die Kinder dürfen entscheiden, welchen Aktivitäten sie im Wald nachgehen möchten, und gestalten auch das Programm selbst.

Theres Herrmann und Rolf Schmid führen bereits das dritte Waldexperiment durch. Tanja Isler
Theres Herrmann und Rolf Schmid führen bereits das dritte Waldexperiment durch. Tanja Isler

Samstagmorgen 9.30 Uhr im Wettinger Wald. Die Temperaturen befinden sich um den Gefrierpunkt, ausser Vogelgezwitscher sind kaum Geräusche hörbar. Mitten im Wald befinden sich Rolf Schmid und Theres Herrmann. Rund um eine Feuerstelle richten sie sich ein: Wasser, ein Erste-Hilfe-Set, eine Axt und kistenweise anderes Material verteilen sie auf den aus Holz erstellten Bänken. Nach rund einer Stunde Vorbereitungszeit begeben sie sich auf den Weg zu einem nahegelegenen Parkplatz.

Viele Freiheiten

Die Feuerstelle bereiteten Rolf Schmid und Theres Herrmann für die acht Kinder vor, die an besagtem Samstag am Waldexperiment teilnehmen. Das Prinzip ähnelt einem Waldkindergarten – und ist doch ganz anders. Kinder im Alter von 7 bis 12 verbringen den Tag im Wald. Doch statt ausgefülltem Programm und starren Regeln, geniessen sie viele Freiheiten. Einzig zu Beginn des Tages führen Theres Herrmann und Rolf Schmid in ein Thema ein. Den Rest des Tages verbringen die Kinder ganz nach ihrem Gusto. Sie dürfen sich in einem weitläufigen Waldstück frei bewegen. Herrmann erklärt: «Die Kinder entwickeln eigene Projekte: Sie experimentieren und forschen im Wald und können ihre Ideen eigenständig umsetzen.» Nur wenige Regeln müssen die Teilnehmenden befolgen. Beispielsweise dürfen aus Sicherheitsgründen Äste nur direkt an der Feuerstelle geschnitzt werden.

Scheitern erlaubt

Die Idee des Waldexperiments stammt von Peter Greminger, der 2016 mit zwei Kollegen den Verein Waldexperiment gründete. Alle drei sind Forstingenieure. In der Annahme, dass Kinder zu selten in der Natur seien, entwickelten sie ein Konzept. Als Trägerschaft fungierten für die Durchführung der ersten Waldexperimente Firmen, die schliesslich verschiedene Naturpädagogen mit der Umsetzung im Wald betrauten. «Bei uns müssen die Kinder nichts lernen, aber wir können es auch nicht verhindern», erklärt Rolf Schmid. Das Richtig-oder-Falsch-Denken sei den Kindern in der Schule eingebläut worden. An den Samstagen im Wald aber sei Scheitern erlaubt. «Denn auch Scheitern bringt einem einen Schritt vorwärts», so Schmid.

Mit viel Herzblut für die Kinder

Theres Herrmann und Rolf Schmid führen bereits das dritte Waldexperiment durch. Für sie eine Herzenssache. «Es ist eine Investition in unsere Zukunft», so Herrmann. Und Schmid ergänzt: «Wir können den Kindern so wichtige Werte weitergeben.» Zu diesen Werten gehört auch, dass die Kinder lernen, Risiken selbst einzuschätzen. So haben beispielsweise ältere Jugendliche im Rahmen des Waldexperiments eine Seilbahn gebaut. Für Rolf Schmid eine seiner Lieblingsmomente im Wald. Die Vorsicht der älteren Jugendlichen und die Hilfsbereitschaft gegenüber den Jüngeren, damit auch diese die Seilbahn benutzen können, haben ihn beeindruckt. Während Schmid von der ausgeklügelten Seilbahnkonstruktion im Wald schwärmt, ist Herrmann ein anderer Moment besonders in Erinnerung geblieben. «Ein Mädchen hat uns gesagt, dass der Wald wie sie selbst sei – er habe ein Herz. Das hat mich berührt.»

Weiterführung mit finanzieller Unterstützung möglich

Damit das Waldexperiment weitergeführt werden kann, ist der Verein dringend auf Sponsoren angewiesen. Da die Migros Aare als grosser Sponsor abgesprungen ist, mussten die Teilnehmerbeiträge erhöht werden. Besonders für Familien, die mehrere Kinder am Waldexperiment teilnehmen lassen möchten, sei das eine finanzielle Belastung. «Um diese Herzenssache langfristig und kostengünstig durchführen zu können, sind wir auf Sponsoren angewiesen», erklärt Herrmann. Diese Sorgen kennen auch die Kinder und ihre Eltern, die um 10.30 Uhr gespannt auf Schmid und Herrmann warten. Eine Mutter, die ihre Tochter regelmässig am Waldexperiment teilnehmen lässt, erklärt: «Das Waldexperiment unterscheidet sich von anderen Angeboten, weil die Altersgruppen durchmischt sind und es kein fixes Programm gibt. Die Kinder lernen, sich selbst zu beschäftigen.» Und auch ihre 11-jährige Tochter stimmt zu und erzählt: «Beim letzten Mal haben wir Wildsäue gesehen, das war eindrücklich.»

Kurz nach halb elf machen sich die Kinder mit Schmid und Herrmann auf den Weg in den Wald. Was sie heute alles erleben, weiss niemand genau. Der Rahmen ist gegeben, der Rest wird dem Zufall und den Kindern überlassen. Aber dass sie mit einem Rucksack voller Erlebnisse um 17 Uhr auf den Parkplatz zurückkehren – daran zweifelt niemand.

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