«Mir fällt es schwer, die Kinder loszulassen»
«Adieu Hort» steht auf dem Tuch, das an der Fassade des Horthauses an der Zürcherstrasse 141 hängt. Adieu sagen heute auch Hortleiterin Claudine Friedli und ihre Stellvertreterin Moni Egloff.
Knapp 17 Jahre arbeitete Claudine Friedli im Tageshort Neuenhof, 15 Jahre davon leitete sie ihn. 19 Jahre war ihre Stellvertreterin Moni Egloff im Hort tätig, sie kam drei Jahre nach der Hortgründung. «Ja, es ist komisch, nun alles leer zu räumen, im Wissen, dass der Verein sich Ende Juni auflöst», sagt Claudine Friedli, als sie die Journalistin ein letztes Mal ins Haus bittet. Einige Räume sind drei Tage vor der Schliessung bereits leer ge- räumt. In anderen stehen gefüllte Kartonkisten. Die Wände sind noch immer mit farbigen Fotos von Hortkindern beklebt. «Ziel ist, möglichst wenig Material wegzuwerfen und trotzdem alles leer zu räumen, weil das Haus ja abgerissen wird», sagt Friedli. In den letzten Wochen seien fast täglich Leute vorbeigekommen, die für eine Krippe, Schule, Spielgruppe oder auch für den Eigenbedarf Sachen mitnahmen. Auch ehemalige Hortkinder kamen zu Besuch: «Eines sagte, es wolle ein letztes Mal durchs Haus laufen und Abschied nehmen», erzählt Moni Egloff.
«Die Schliessung tut mir leid für all die Leute, die sich ehrenamtlich jahrelang dafür eingesetzt haben», sagt Friedli. «Mir fällt es schwer, die Kinder loszulassen», fügt Egloff hinzu. Besonders, weil sie nicht wisse, wie gut die einzelnen Nachfolgelösungen seien.
Persönlich haben sich die beiden hingegen mit der Situation arrangiert. «Schlaflose Nächte hatte ich vor allem, als noch nicht klar war, ob es weitergeht oder nicht. Nun ist es so, und ich nehme viele Erfahrungen mit und trauere der Zeit nicht nach», sinniert die Hortleiterin. Kein Tag sei wie der andere und man habe Einblick in die Familienverhältnisse der Kinder. «Man bekommt Sachen mit, von denen man denkt, dass es sie gar nicht gibt.» Von Eltern, die mit eigenen Süchten kämpfen, krank sind oder Probleme haben und deswegen die Kinder nicht wahrnehmen könnten. «Wir haben versucht, ihnen bei uns eine Struktur, Zuwendung und Wertschätzung zu geben», erzählt Friedli mit Tränen in den Augen. Sie ist selber Mutter von zwei Kindern. Moni Egloff ist vierfache Mutter und Grossmutter und sagt: «Ist man selber Mutter, kann man solche Erlebnisse nicht sachlich nehmen. Da kommen sofort Emotionen auf.»
224 Kinder seien seit der Gründung im Tageshort betreut worden. Immer wieder komme es vor, dass einzelne auch als Erwachsene einen Besuch im Hort machen. «Einmal kam ein Jugendlicher direkt nach dem Unterschreiben des Lehrvertrags vorbei, um uns stolz davon zu berichten», lacht Egloff. «Und eines unserer Hortkinder liess sich selber zur Betreuerin ausbilden und arbeitet heute mit unserer ehemaligen Lehrtochter zusammen in einer Krippe», ergänzt Friedli.
Sie selber könnten sich nicht vorstellen, in einem anderen Berufsfeld zu arbeiten. «Für mich ist die Arbeit mit Kindern so etwas wie eine Berufung», sagt Moni Egloff. Die Wettingerin ist deshalb nach der Kinderphase nicht mehr in ihren angestammten Beruf als kaufmännische Angestellte zurückgekehrt, sondern hat sich umschulen lassen. Sie will auch nach der Hortschliessung wieder eine Stelle im Bereich Kinderbetreuung suchen. «Doch zuerst brauche ich einen Moment Pause. Ich nehme mir eine Auszeit und muss zuerst abschliessen.» Anders bei Claudine Friedli. Die Fricktalerin wird bereits am nächsten Montag die Leitung einer Tagesstruktur in der Nähe von Aarau übernehmen.
Doch zuerst wollen sich die beiden heute von der Neuenhofer Bevölkerung verabschieden. «Und uns bei allen bedanken, die uns, den Kindern und dem Hort in all den Jahren Gutes getan haben.» Sie seien auch besonders jenen Eltern dankbar, die ihnen ihre Kinder trotz bevorstehender Schliessung noch anvertraut hätten. Diejenigen Kinder also, deren Bilder im sonst leeren Haus die Wände noch zieren.