Asylsuchende ziehen in ehemaliges Bordell ein

Mehr als 26 Jahre lang diente das Haus an der Unteren Dorfstrasse in Spreitenbach als Bordell. Nun wird es als Asylunterkunft genutzt. Am Montag sind die ersten zwei Asylsuchenden eingezogen.

Der Whirlpool wurde entfernt und stattdessen an diesem Ort ein Aufenthaltsraum mit Sofas eingerichtet. zVg

Der Whirlpool wurde entfernt und stattdessen an diesem Ort ein Aufenthaltsraum mit Sofas eingerichtet. zVg

Die schwarzen Kleber auf der gelben Blache mit der Aufschrift «Number 1 Bar» wurden entfernt. Wo bis im März ein Whirlpool war, stehen jetzt zwei Sofas; der einstige Barraum dient als Speisesaal. Die Umnutzung des ehemaligen Etablissements an der Unteren Dorfstrasse 90 ist vollzogen. Bis zu 19 Asylsuchende können künftig darin wohnen. Als Erstes hat der Kanton ein Geschwisterpaar mit Jahrgang 1994 aus Afghanistan zugewiesen. Belinda Turnell, Leiterin der Sozialen Dienste, geht davon aus, dass in den nächsten Tagen noch weitere Asylsuchende einziehen werden. Sechs Zimmer mit je zwei bis vier Betten stehen parat ebenso wie je ein Ess- und Wohnraum, zwei Küchen und Büros sowie drei Duschen mit Toiletten. «Die Räumlichkeiten wären ideal für mehrere Familien», sagt Turnell.

Die Gemeinde hat die Liegenschaft von Heinz Hofer gemietet. Er hat das Bauernhaus mit Jahrgang 1850 vor 28 Jahren als Renditeobjekt gekauft und ein Jahr später als Etablissement umgenutzt. «Am Anfang gab es deswegen mehr als 80 Einsprachen, jemand zündete das Haus sogar an», sagt Hofer. Der Brand wurde gelöscht und die Einsprachen abgewiesen. Der vor dem Haus liegende grosse Parkplatz nutzte der Unternehmer auch als Autohandelsplatz. Im Haus entstand zeitweise ein Spielsalon und eine Bar. Seit März ist Schluss. Der Vertrag mit dem Mieter lief aus, Hofer erneuerte ihn nicht. «Ich bin jetzt 72 Jahre alt und will mich nicht mehr um die Liegenschaften kümmern müssen», begründet er. Auch sein Etablissement in Wohlen und sein Privathaus in Hunzenschwil hat er verkauft, will fortan seine Pensionierung geniessen. Deshalb ging er auf die Gemeinde zu und bot ihr die Liegenschaft zur Miete an. Sie schlossen einen auf zwei Jahre befristeten Mietvertrag ab. In der Zwischenzeit sucht Hofer einen Käufer, verlangt 4,15 Mio. Franken dafür. «Man könnte darauf ein viergeschossiges Objekt mit neun Eigentumswohnungen erstellen, Architekturpläne bestehen bereits.» Selbst bauen will er nicht. «Aufs Alter hin will ich keine Schulden mehr anhäufen.»

Kontingent noch nicht erfüllt

Die Gemeinde Spreitenbach muss Stand Ende November 84 Asylsuchende aufnehmen. 56 Personen, die hauptsächlich aus der Ukraine, Russland oder Afghanistan stammen, sind in zwei Wohnungen, wenigen Gastfamilien, drei Liegenschaften der Gemeinde und zwei Baracken des Kantons untergebracht. Mit dem Bereitstellen der Wohnplätze an der Unteren Dorfstrasse kann Spreitenbach 75 Personen aufnehmen. Für die fehlenden rund 10 Plätze sucht die Gemeinde ein oder zwei Liegenschaften oder grössere Wohnungen. Für jeden Platz, den eine Gemeinde nicht bereitstellen kann, muss sie 90 Franken pro Tag an den Kanton zahlen. Spreitenbach hat sich im Asylverbund mit sieben umliegenden Gemeinden zusammengetan und zahlt so pro fehlenden Platz nur 20 Franken pro Tag.

Bevor das ehemalige Bordell als Asylzentrum genutzt werden konnte, musste die Nutzung von Gewerbe zu Wohnen bewilligt werden. Im Mai lag die Bauausschreibung öffentlich auf. Dagegen gab es eine Einwendung. «Die Person hatte die Ausschreibung falsch verstanden und zog sie nach klärenden Gesprächen zurück», sagt Turnell. Im August wurde die Bewilligung für die Umnutzung erteilt, seither bezahlt die Gemeinde Miete. Vier Monate hat es gedauert, bis die Liegenschaft nun als Asylunterkunft genutzt wird. «Wir mussten einige räumliche Anpassungen vornehmen und das Haus für die neue Nutzung einrichten», so Turnell. Unter anderem wurden Wände gestrichen, ein Durchbruch gemacht und neu möbliert. «Der Vermieter hat uns zwar angeboten, die Einrichtung zu übernehmen, das meiste war jedoch entweder zu abgenutzt oder wird in einer Asylunterkunft nicht gebraucht», sagt Turnell.

Kajüten- statt Boxspringbett

Mittlerweile ist die Asylunterkunft vorwiegend mit neuen Möbeln aus der Ikea ausgestattet. Das Einrichtungshaus unterstützt im Rahmen ihres Sozialengagements immer wieder Organisationen mit Sachspenden. «Projekte in Spreitenbach versuchen wir wenn immer möglich zu unterstützen, weil es ja unsere Standortgemeinde ist», begründet Marina van Biljon, die bei Ikea für Nachhaltigkeitsprojekte zuständig ist. Elf Mitarbeitende haben am 23. und 24. November die Möbel im Wert von rund 10000 Franken in die Asylunterkunft gebracht und auch gleich aufgestellt. Dabei sei auch das Holzkreuz, das noch in der Folterkammer stand, entsorgt worden.

Ein Glücksfall, wie Turnell die Spende bezeichnet. Denn so spart die Gemeinde Zeit und Geld für die Einrichtung. Zwar hat Spreitenbach die Betreuung der Asylunterkünfte als Pilotprojekt an die ORS-Gruppe ausgelagert. Für den Liegenschaftsunterhalt und teilweise auch die Administration ist aber weiterhin der Sozialdienst zuständig. Dazu gehört auch die Einrichtung. Manchmal bekommt die Gemeinde Möbelspenden aus der Bevölkerung. Nach einem Aufruf in der Limmatwelle seien viele Angebote eingegangen. «Doch der logistische Aufwand, die Möbel abzuholen, teilweise dort abzubauen und am neuen Ort wieder aufzubauen, ist sehr gross.» Und nicht alle Möbel seien noch zum Gebrauch geeignet gewesen.

In der neuen Liegenschaft erwarten die Asylsuchenden jetzt neue Betten, die noch nach Kieferholz riechen. Auch sonst entspricht die Liegenschaft wohl keiner Standard-Asylunterkunft. Der Stil des ehemaligen Etablissements ist an einigen Orten im Haus zu erkennen. Wer sonst kann in einem Bad mit goldigen Mosaikplättchen duschen?

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