Nach dem Abenteu er kam die Leere
Vor zweieinhalb Jahren überquerten drei Brüder und ihr Cousin mit dem Ruderboot den Atlantik. Was sie heute machen und welche Spuren das Abenteuer hinterlassen hat, verrieten sie an einem Vortrag im Rathaus.
«Heute rudere ich ab und zu wieder. Aber nach dem Wettkampf brauchte ich eine längere Pause», sagt Georg Stocker. Zusammen mit seinem Cousin Matthias Odermatt lässt er Anfang September das Abenteuer nochmals aufleben, das er mit seinen Brüdern Sebastian und Peider und Cousin Matthias vor fast drei Jahren bei der Atlantiküberquerung erlebt hatte. Im Publikum sitzt auch seine Frau mit dem Neugeborenen auf dem Arm, mittlerweile ist der 30-Jährige Vater geworden. Standen die vier jungen Männer nach dem Ruderrennen oft auf der Bühne, sind die Auftritte heute seltener. Trotzdem haben die 5000 Kilometer, die sie von den Kanaren in die Karibik zurückgelegt hatten, Spuren hinterlassen. «Wir leben bewusster. Auch heute noch. Der Wettkampf hat uns gelehrt, mit Herausforderungen umzugehen.»
Der fehlende Wind
Herausforderungen gab es einige während der «Atlantic Challenge», die als härtestes Ruderrennen der Welt gilt: chronischer Schlafmangel, Astronautenessen oder der fehlende Wind etwa. «Wir haben nicht daran gedacht, dass es windstill sein könnte», sagt Odermatt. Ohne Wind, keine Hilfe beim Vorwärtskommen und bis zu 50 Grad Hitze in den Kabinen. Zur Abkühlung ins Wasser springen, sei zwar verlockend, aber wegen der Tiere im Wasser keine Option gewesen. «Einmal pro Woche mussten wir allerdings ins Wasser, um das Boot von den Algen zu reinigen. Prompt hat mich einmal eine Qualle gestochen», sagt Odermatt.
40 Tage, 13 Stunden und 5 Minuten brauchten die jungen Männer, bis sie im Ziel ankamen. Die Durchschnittsgeschwindigkeit betrug 2,5 Kilometer pro Stunde. «Wir waren also im Schritttempo unterwegs», sagt Stocker. Gerudert wurde zu zweit, zwei Stunden lang, und dann gabs einen Wechsel. «Wir lebten in totaler Isolation, das Einzige, was wir manchmal sahen, waren ein paar Vögel», sagt der mittlerweile 25-jährige Odermatt und fügt an: «Im Dunkeln zu rudern, den Monitor als einzige Lichtquelle zu haben, das ist sehr speziell.»
Ins normale Leben zurückfinden
Die grösste Herausforderung sei die Psyche gewesen. «Die körperliche Erschöpfung kann man überwinden, irgendwann gewöhnt sich der Körper daran und funktioniert. Aber als ich anfing, nach vorne zu denken, kam ich mental an meine Grenzen. Ich habe nur weitergemacht, weil ich die anderen nicht im Stich lassen wollte», so Stocker.
Das Mentale sei denn auch die grösste Herausforderung gewesen, als sie am 21. Januar 2022 im Hafen in Antigua ankamen. «Auf einen Schlag ist das riesige Abenteuer, auf das wir drei Jahre lang ganz intensiv hingearbeitet haben, vorbei. Wir mussten ins normale Leben zurückfinden», sagt Stocker. «Ich musste sofort wieder ins Militär einrücken, die Leere kam bei mir erst später», fügt Odermatt an. Schliesslich habe es ihnen geholfen, wieder kleinere Projekte in Angriff zu nehmen, etwa einen VW-Bus fertigzubauen oder für einen Berglauf zu trainieren. «Und ich musste lernen, über meine Gefühle zu reden», sagt Stocker.
Jüngstes Viererteam
Längst sind sie wieder angekommen im Alltag. Stocker hat sein Studium beendet, ist als Ingenieur im Bereich Naturgefahren tätig und von Wettingen nach Küsnacht gezogen. Sein 27-jähriger Bruder Sebastian hat ebenfalls geheiratet, lebt in Würenlos, arbeitet als Produkt-Manager und wird im Januar auch Vater. Odermatt, der mittlerweile in Rüti lebt, ist als Schreiner tätig und will sich beruflich weiterentwickeln. Der 22-jährige Peider Stocker lebt noch immer in Wettingen und ist zurzeit als Fallschirmaufklärer im Militär. «Er war bei der Überquerung erst 19 Jahre alt und ist mental sehr stark gewachsen», sagt Georg Stocker. Man spürt: Er ist stolz auf seinen Bruder. Überhaupt sei die Beziehung unter den vier Männern noch stärker geworden.
«Ihr habt alles durchgedacht und euch bis zur letzten Meile vorbereitet, das ist auch sonst im Leben entscheidend», sagte Regierungsrat Markus Dieth im Anschluss. Der Vortrag war von der Mitte-Partei des Bezirks Baden organisiert worden. Ständerätin Marianne Binder und Dieth diskutierten nach der Präsentation darüber, was die Politik von solchen Abenteuern lernen kann. Sie waren sich einig: Durchhaltewille ist nicht nur bei einem solchen Wettkampf entscheidend, sondern im ganzen Leben.