Raus aus dem Asylheim: In dieser Gemeinde dürfen Asylsuchende mit anpacken
Mit dem Pilotprojekt «Werkhof-Asylsuchende» übernimmt Wettingen schweizweit eine Vorreiterrolle.
Ein eiskalter Wind weht. Serge Schmidhalter zieht sich die dicken Gummihandschuhe über und reicht seinem neuen Helfer den Wischlappen: Die öffentliche Toilettenanlage vor dem Rathaus muss geputzt werden. Naemn Merhawizghi ist Asylsuchender in Wettingen.
Seit dem 12. Februar ist er jeden Montag und Freitag mit Schmidhalter für den Werkhof unterwegs. Dienstag und Donnerstag verbringt der 25-jährige Eritreer mit dem Entsorgungsteam.
Das Schwierigste an der Zusammenarbeit sei die Sprachbarriere, so Serge Schmidhalter. «Aber nicht so schlimm, dann sag ich es halt nochmals und langsamer.» Schmidhalter lächelt und beobachtet seinen Schützling bei der Arbeit. Zusammen reinigen die beiden alle öffentlichen Toiletten und Sammelstellen im Dorf.
Zwei Monate darf der junge Asylbewerber für den Werkhof arbeiten. Dann ist der Nächste dran: Länger dürfen die Asylsuchenden nicht arbeiten. Gesamthaft dauert das Projekt «Werkhof-Asylsuchende» sechs Monate, wobei immer zwei Asylbewerber für zwei Monate beschäftigt werden.
Während Merhawizghi sich um die Toilettenreinigung kümmert, arbeitet Desale Fessehaye (21) auf dem Friedhof Brunnenwiese. Beide Männer stammen aus eritreischen Bauernfamilien und sind seit zweieinhalb Jahren in der Schweiz.
Beide Seiten sollen profitieren
Ins Leben gerufen wurde die Aktion 2017 vom «National Coalition Building Institute» NCBI Schweiz in Zusammenarbeit mit der Fachstelle Ischtar. Beide Organisationen setzten sich für den Abbau von Vorurteilen, von Rassismus und Diskriminierung jeglicher Art ein. «Wir wollten mit dem Projekt eine Win-win-Situation schaffen», erklärt Andi Geu, Co-Geschäftsleiter von NCBI.
Die Asylsuchenden erhalten einen Einblick in die Schweizer Arbeitswelt sowie eine feste Tagesstruktur. Gleichzeitig setzten sie sich für die Gemeinde, in der sie leben, ein.
Wettingen übernimmt dabei die Pionierarbeit. «Es ist ein Pilotprojekt, für das sich der Gemeinderat entschieden hat», sagt Kirsten Ernst, Gemeinderätin und Ressortvorsteherin Tiefbau und Umwelt. Dabei handelt es sich um ein zeitlich begrenztes Projekt.
«Die Asylsuchenden stehen in keiner Konkurrenz zu den bestehenden Arbeitsstellen, sondern sollen ergänzende Hilfsarbeit leisten», erklärt Ernst und fügt an: «Wir sind sehr zufrieden mit ihnen. Sie kommen motiviert zur Arbeit und bringen Interesse für ihr Arbeitsumfeld mit.» Von allen Seiten gebe es nur positive Rückmeldungen.
Vorurteil halten sich hartnäckig
Durch die Arbeit für den Werkhof sind die Asylsuchenden für die Bevölkerung auch sichtbar. «Dadurch verbessert sich das Bild der Asylbewerber», sagt Martin Egloff, Gemeinderat und ehemaliger Ressortvorsteher Soziales und Familie. Denn das Vorurteil des faulen Asylanten hält sich hartnäckig. Dabei würden viele Asylbewerber gerne arbeiten, beteuert Heinz Suter, Betreuer der kantonalen Asylunterkunft.
Das Problem: Die meisten dürfen aufgrund des Asylstatus noch nicht arbeiten. «Und weil seit der Einreise oft sehr viel Zeit vergeht, sind die Asylsuchenden dann meistens demotiviert», so Suter.
Heinz Suter sucht die Asylsuchenden für das Projekt aus und bringt sie für ein Tauglichkeitsinterview zuerst zum Werkhofleiter. Wichtig für die Auswahl seien dabei die Motivation und die körperliche Konstitution.
Aufgrund der physisch anstrengenden Arbeit wurden nur Männer ausgewählt. «Falls wir das Projekt weiterführen und auch in anderen Gemeinden lancieren können, würden wir aber gerne auch mehr Frauen integrieren», erklärt Andi Geu von der NCBI Schweiz.
Noch keine weiteren Projekte geplant
Finanziert wird das Ganze aus dem kantonalen Lotteriefond. Die Gemeinde übernimmt dadurch nur noch die Kosten für die Kleidung, das Mittagessen und die tägliche Entlöhnung von sieben Franken.
Ob es in Zukunft weiterhin solche Projekte geben wird, steht aber noch in den Sternen. Kirsten Ernst: «Wir werden nach Abschluss des Projektes den Beschäftigungseinsatz evaluieren und dann werden wir sehen. Für eine allfällige Weiterführung liegt im Moment keine Bewilligung vom Gemeinderat vor.»
Es müsste sich erst eine politische Basis bilden, die den zweiten Arbeitsmarkt gezielt fördern möchte.