«Wir probierten aus»
Aus Anlass des 50-Jahr- Jubiläums schauen der Mitgründer der Elternvereinigung und der erste und der heutige Arwo-Geschäftsführer in die Vergangenheit und die Zukunft.
«Aktuell arbeiten 270 Mitarbeiter mit Beeinträchtigung an einem der 8 Arbeitsstandorte und 120 Bewohner leben an einem unserer 9 Wohnstandorte», sagte Arwo-Geschäftsführer Roland Meier vier Tage nach dem 50. Geburtstag der Stiftung. Die verschiedenen Standorte sind bewusst gewählt: «Die Arwo wollte von Anfang an, dass die Leute sich bewegen und man sie sieht.» Mittlerweile gehören die Menschen mit Beeinträchtigung zum Bild von Wettingen. «Sie tragen zur Vielfalt im Ort bei.»
Das war nicht immer so. «War vor 50 Jahren jemand im Rollstuhl, hat man sich noch nach ihm umgedreht», sagt Werner Ehrensperger. Der 93-Jährige spricht aus Erfahrung: Er habe zwei behinderte Söhne. Sie sind der Grund, weshalb es die Arwo überhaupt gibt. Als seine Söhne die obligatorische Schulzeit in der Heilpädagogischen Schule in Wettingen abgeschlossen hatten, gab es keine Anschlusslösung. «Die damalige Schulleiterin fragte uns: ‹Was macht ihr jetzt?›»
Eltern suchten Lösung für ihre Kinder mit Beeinträchtigung
Das fragten sich die Eltern anfänglich auch und taten sich dann mit fünf anderen Eltern zusammen, die ebenfalls Kinder mit einer Beeinträchtigung hatten, die eine Anschlusslösung suchten. Gemeinsam gründeten sie eine Elternvereinigung, mieteten im alten Schulhaus beim Friedhof einen Raum und eröffneten die Werkhilfsschule. Als Lehrer stellten sie einen Werkmeister der damaligen Brown Boveri Company (BBC) an, der den acht Jugendlichen mit einer Behinderung einfache Handwerkarbeiten beibrachte. Um den Schulbetrieb zu finanzieren, verkauften die Eltern an Bazaren Handgemachtes, sammelten Altpapier und erhielten Spenden.
Mit der Einführung der IV im Jahr 1960 wurden die gesetzlichen und die finanziellen Rahmenbedingungen geschaffen, um auch für Menschen mit Beeinträchtigung ein Angebot bereitzustellen. «Jetzt müssen wir aus der Werkschule eine Stiftung machen, fanden wir damals», sagt Ehrensperger.
«Mädchen für alles»
Damit gaben Ehrenspergers und die anderen Eltern die Verantwortung weiter an Martin Finschi. Er wurde der erste Geschäftsführer der Anschlusslösung mit 100 Arbeits- und Beschäftigungsplätzen, die unter dem Namen «AZW Arbeitszentrum Wettingen» am 4. November 1974 an der Kirchstrasse 18 angeboten wurden.
Es war der erste Arbeitstag für 11 Mitarbeiter mit einer IV-Rente an einem geschützten Arbeitsplatz. «Das Wort gefiel mir nie, den Arbeitsplatz muss man ja nicht schützen, sondern die Menschen», sagt Martin Finschi und lacht. Der 86-Jährige baute den Betrieb mit zwei weiteren Personen auf. «Wir haben bei null angefangen, mussten Aufträge reinholen. Ich kam mir manchmal vor wie ein Bettler.» Er habe sich als Heimvater gesehen, war Mädchen für alles. «Wir probierten einfach aus, es war weniger professionell als heute. Wir waren damit beschäftigt, die ständig wachsenden Bedürfnisse abzudecken», so Finschi. Die Zeit war von Wachstum geprägt, zu den Arbeitsplätzen kam 1981 das Wohnheim hinzu.
Sanierung des Hauptgebäudes
Das Gebäude ist mittlerweile in die Jahre gekommen und soll in zwei Jahren für schätzungsweise 20 bis 25 Millionen Franken umfassend modernisiert werden. Neben dieser Infrastruktur-Veränderung ist Geschäftsführer Roland Meier vor allem mit Veränderungen, die Menschen betreffen, beschäftigt, etwa mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. «Menschen mit Beeinträchtigung sollen immer mehr selber bestimmen können, es soll immer mehr auf ihre Wünsche eingegangen werden.»
Als Beispiel nennt Meier den Selbstbestimmungsrat, der in der Arwo voraussichtlich nächstes Jahr eingeführt werden soll: Menschen mit Beeinträchtigung sollen eine Stimme im Unternehmen erhalten, um über wichtige Entscheidungen mitzubestimmen.
Trotz hohem Alter noch aktiv
«Ich weiss nicht, was aus meiner Familie geworden wäre, wenn es die Arwo nicht gäbe», sagt Ehrensperger, der verwitwet ist und seine mittlerweile bald 70-jährigen Söhne regelmässig, teilweise täglich, im Wohnheim besucht. Und auch Martin Finschi setzt sich auch mit 86 Jahren noch aktiv für die Arwo ein und verkauft zum Beispiel Insieme-Biberli. Mit dem Erlös werden Ferien- und Freizeitangebot für Menschen mit Beeinträchtigung durchgeführt.