«Manchmal gibt es einfache Lösungen»

«Der Name Jugend- und Familienberatungsstelle ist irreführend. Wir beraten alle Würenloser Einwohner», sagt Daniela Schlögl. Dank den Sozialarbeiterinnen fanden einige Einwohner aus der Schuldenfalle, was sich auch für die Gemeinde auszahlt. Doch die Fachleute haben auch weniger schöne Aufgaben.

«Jugend- und Familienberatung, 2. Türe rechts. Einwohnerdienste, 1. Türe links» steht auf einem laminierten Plakat im Erdgeschoss des Eingangs im Gemeindehaus. Daneben hat es mehrere Stühle und einen Ständer mit Plakaten. Es wird für ein Theater geworben, Einblick in die Aargauer Wanderwege gegeben oder auf Angebote der Pro Senectute, der Notschlafstelle, eines Tierkrematoriums, von Vereinen und Sozialeinrichtungen hingewiesen.

Die Türen im Gang sind geschlossen. Durch Drücken der Klingel kann man sich anmelden und wird von Jutta Strebel empfangen. Der Arbeitsplatz der Sachbearbeiterin liegt zwischen den Büros von Daniela Schlögl und Iris Bachmann. Neben Pult, PC und Ordner mit Akten stehen in den Büros der beiden Sozialarbeiterinnen auch ein runder Tisch und bequeme Stühle. «Bei der Beratung geht es um einen Vertrauensaufbau», sagt Schlögl. Die 53-Jährige ist überzeugt: Eine wohnliche Atmosphäre hilft, Vertrauen aufzubauen, und Vertrauen ist die Basis zum Erfolg.

Mittlerweile hat auch Iris Bachmann am ovalen Tisch Platz genommen und nickt. Viele würden sich schämen, Hilfe zu brauchen. Bei der JFB kann man deshalb auch unangemeldet kommen. «Und wer dann zuerst an einem Schalter anstehen und sein Anliegen vor allen anderen vorsprechen muss, kommt vielleicht gar nicht mehr», so Schlögl.

Doppelt bezahlt

Wäre das Problem dann nicht erledigt? Auf keinen Fall, finden die beiden Frauen. «Manchmal gibt es einfache Lösungen und die Leute kommen danach wieder alleine zurecht. Vielfach liegt es am Unwissen, Nichteinhalten von Fristen oder sie brauchen Unterstützung, beispielsweise um ein Gesuch zu stellen oder ein Formular auszufüllen», sagt Bachmann. Wie bei der 70-jährigen Frau, die wegen finanzieller Probleme die Beratungsstelle aufsuchte. Im Gespräch stellte sich heraus, dass ihr Mann eine AHV-Rente und Ergänzungsleistungen zugute hätte, es aber nicht angemeldet hatte. «Viele wissen nicht, dass man sich ein halbes Jahr vor der ersten Rentenauszahlung bei der Ausgleichskasse anmelden muss», sagt Bachmann. Die 46-Jährige half dem Ehepaar beim Ausfüllen der Formulare, die nun dank des zusätzlichen Einkommens wieder selber über die Runden kommen.

Das zahlt sich auch für die Gemeinde aus. Zurzeit seien etwa fünf Familien längerfristig auf Sozialhilfe angewiesen, vier Personen brauchen sie nur zur Überbrückung, etwa während der Wartefrist, bis der Bescheid einer IV-Rente vorliegt. Dieses Geld wird dann rückwirkend wieder zurückgezahlt. Gemäss Rechenschaftsbericht wurden im Jahr 2023 von den total 1,2 Mio. Franken Ausgaben für die Sozialhilfe rund 900 000 Franken wieder zurückbezahlt. Die Sozialhilfeausgaben bei den regulären Sozialhilfebeziehenden waren im 2023 wie bereits im Vorjahr rückläufig. «Dies ist einer professionellen, intensiven und beharrlichen Begleitung der Klientinnen und Klienten durch die Jugend- und Familienberatung zu verdanken», steht im Rechenschaftsbericht 2023.

Ein Problem führt zum anderen

In der Sozialhilfe gilt der Grundsatz der Subsidiarität. «Deshalb schauen wir mit den Ratsuchenden, wie sie sich selber helfen können oder ob ihnen Hilfe von dritter Seite zusteht», sagt die ehemalige Berufsschullehrerin Daniela Schlögl, die eine Ausbildung in Sozialrecht sowie einen Masterabschluss in Beratungswissenschaften besitzt. Ein breites Wissen ist bei der JFB von Vorteil. «Die Fälle sind manchmal wie eine Knobelaufgabe», sagt Bachmann. Sie fanden schon heraus, dass Krankenkassenprämien doppelt bezahlt werden oder Ansprüche wie Prämienverbilligungen nicht geltend gemacht wurden. «Das kann auch daran liegen, dass die Leute nicht lesen können oder die Post nicht mehr öffnen, weil sie so überfordert sind», sagt Bachmann und Schlögl fügt an: «Fast 20 Prozent der Schweizer Wohnbevölkerung können nicht gut lesen und schreiben, sind schon gar nicht digital unterwegs. Diese Personengruppe wird zunehmend vergessen.» Manchmal müsse zuerst das eine Problem gelöst werden, um das nächste zu regeln. Wer seine Steuererklärung beispielsweise nicht eingereicht hat, dem fehlt die Steuerrechnung, die es fürs Einfordern der Prämienverbilligung braucht.

Von Höhe- und Tiefpunkten

Materielle Schwierigkeiten sind der häufigste Grund, warum die JFB aufgesucht wird. 128 von total 575 Beratungen haben die Sozialarbeiterinnen letztes Jahr zu diesem Thema geführt. Eine weitere Hauptaufgabe (92 Beratungen) sind Dienstleistungen für Behörden, Gerichte oder Schulen. Die beiden Sozialarbeiterinnen schreiben Berichte, geben Empfehlungen ab, stellen Anträge und überprüfen die Situation vor Ort. Arbeiten, die sonst bei externen Stellen kostenpflichtig in Auftrag gegeben werden müssten.

Gefährdungsmeldungen mussten sie vergangenes Jahr keine machen. «Aber ich habe schon mehrmals wegen häuslicher Gewalt Frauen auf den Polizeiposten begleitet», sagt Schlögl, die selbst Mutter und Grossmutter ist. Von Gewalt sind Personen jeden Alters und Geschlechts betroffen. Kürzlich setzte sich Schlögl für eine demente alte Frau ein, die von ihrem Ehemann regelmässig vergewaltigt wurde. Dank Vernetzung mit Sozialeinrichtungen und Behörden konnte der Frau geholfen werden.

Für die ganze Bevölkerung da

Die Sozialarbeiterinnen betonen, dass sie Anlaufstelle trotz dem Namen «Jugend- und Familien» für alle seien. «Gerade auch für Senioren, die teilweise einsam leben und nicht mehr mobil sind», so Schlögl. Zu ihren Klienten gehörten auch ein Mann, der im Wald lebte und von dem sie die einzigen Bezugspersonen waren. «Als er sich das Leben nahm, habe ich gezweifelt und mich gefragt, ob ich genug getan habe», sagt Schlögl und schaut nachdenklich in die Ferne.

«Wir können nur punktuell helfen, den Alltag müssen sie selbst bewältigen», fügt Bachmann an und gibt ehrlich zu, dass es sie manchmal auch nerve, wenn Süchtige die Medikamente nicht nehmen aber immer wieder vor der Türe stehen. «Doch da muss ich mich abgrenzen, Verantwortung abgeben. Je mehr wir übernehmen, je weniger geht es vorwärts», sagt die Mutter von Schulkindern, die einst Kindergärtnerin war und sich zur Sozialarbeiterin weiterbildete. Bei Tiefs halten sie sich an Erfolgsgeschichten wie die des Ehepaars, das nun Rente bekommt und als Dank Blumen aus dem Schrebergarten vorbeibrachte. Oder der lernwillige junge Flüchtende, der seine Lehre abschloss.

Es ist Mittag geworden. Iris Bachmann steht auf. Sie besucht mit der Verwaltungsangestellten des Sozialdiensts eine Tagesmutter. Die Gemeinde ist nämlich auch für die Bewilligungserteilung der Tagesfamilien, Pflegeeltern und Tageshorts zuständig. Das sei sinnvoll, denn die Gemeinde beteilige sich mit bis zu 80 Prozent an den Betreuungskosten, sagt Iris Bachmann. Sie steht auf, verlässt das Büro durch den Gang, vorbei an den Stühlen, die an diesem Morgen leer geblieben sind.

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