Priorin erhält Ehrendoktor und Frauenpreis

Bundespräsidentin Viola Amherd ist am Sonntag zu Gast im Kloster Fahr. Sie hält anlässlich der Frauenpreisverleihung die Rede. Fünf Tage später wird der Priorin an der Uni Fribourg der Ehrendoktor verliehen. Wer ist die Frau zwischen Rampenlicht und Stille?

Priorin Irene Gassmann wird am Sonntag vom Aargauischen katholischen Frauenbund der Frauenpreis verliehen.Melanie Bär

«Bundesrätin Viola Amherd hat eine Schuld bei mir», sagt Irene Gassmann und fügt lachend an: «Deshalb kommt sie am Sonntag ins Kloster Fahr und hält an der Preisverleihung die Festrede.» Es war nämlich so: Bei der Vereidigung der Schweizer Garde im Jahr 2023 war der Aargau Gastkanton. Als Mitglied der Regierungs- und Kirchenratsdelegation organisierte Gassmann den Gottesdienst. Und schlug sich gleich selbst vor, um die Predigt zu halten.

«Manchmal muss man den Mut haben, Platz einzunehmen», sagt Priorin Irene, die sich seit mehreren Jahren für die Gleichberechtigung von Frauen in der Kirche starkmacht. Bischof Felix war einverstanden und die Priorin predigte zum Thema Stille. «Schliesslich müssen die Gardisten stundenlang still stehen», begründet die 59-Jährige. Bundesrätin Amherd sass in der vordersten Reihe und fragte sie beim Apéro: «Priorin Irene, kann man Sie buchen?» Im Februar stand die Klosterfrau dann auf dem Flugplatz Payerne vor 750 Kaderangehörigen des Militärs. Als Symbol nahm sie eine Klangschale mit und leitete die Militärangehörigen an, zwei Minuten zu schweigen. «Wir leben in einer mit Unsicherheit und Angst erfüllten Zeit. Da ist es wichtig, dass wir immer wieder in die innere persönliche Stille kommen.»

Stille und Rückzug

Als Vorsteherin eines Klosters und Leiterin des dazugehörenden Betriebs mit 17 Nonnen und 13 Angestellten ist es die Priorin gewohnt, vorne im Rampenlicht zu stehen. Im streng geregelten Klostertag erlebt sie während der acht Gebetszeiten aber auch Stille und Rückzug. «Dort tanke ich Kraft, bekomme Ideen. Ich empfinde es als Privileg, mir Zeit für Stille nehmen zu dürfen.» Nur dank dieser Kraft, die sie durch den Glauben und die Spiritualität bekomme, könne sie sich politisch überhaupt engagieren. Sie ist Mitglied des Frauenrats der Schweizerischen Bischofskonferenz; sagt, dass die Kirche nicht glaubwürdig ist, wenn Frauen nicht gleichberechtigt sind, und hat den Protestlauf von St. Gallen bis Rom mitorganisiert, ist ein Abschnitt mitgewandert. Mit ihren Engagements und Aussagen eckt sie auch an, etwa wenn sie wie im Podcast von kath.ch sagt: «Vielleicht muss die Kirche noch mehr zerfallen, damit etwas Neues entstehen kann.»

Mit ihrem Einsatz für Veränderung in der katholischen Kirche rennt sie bei einigen aber auch offene Türen ein. Ihr Engagement ist mit ein Grund, weshalb ihr vom Aargauischen katholischen Frauenbund (AKF) am kommenden Sonntag der Frauenpreis verliehen wird. «Priorin Irene fordert Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Kirche. Sie war Mitinitiatorin des Projekts ‹Für eine Kirche mit* den Frauen›. Ihr Engagement umfasst auch den Kampf gegen Machtmissbrauch in kirchlichen Strukturen», begründet AKF-Präsidentin Pia Viel. Der Frauenpreis wird jährlich verliehen und ist mit 20000 Franken dotiert. Er würdigt Frauen, die sich in besonderer Weise für die Belange von Frauen und für gesellschaftliches Engagement einsetzen. Unter Gassmanns Leitung habe sich das Kloster Fahr zu einem offenen Ort einer Spiritualität entwickelt, «die sowohl in der Tradition verwurzelt ist als auch offen für Veränderungen und gesellschaftliche Entwicklungen ist». Vom AKF wird geschätzt, dass weibliche Gäste am Klosterleben teilnehmen können und es Angebote wie etwa «Ü30 fahrwärts» für jüngere Zielgruppen gibt. «Priorin Irene hat wichtige Schritte für die Zukunftsfähigkeit des Klosters unternommen», so Pia Viel und lobt den Strategieprozess für Annexgebäude, Betriebe und die Verpachtung des Landwirtschaftsbetriebs.

Es stehen Veränderungen an

Ein einschneidender Schnitt war die Schliessung der rund 70-jährigen Bäuerinnenschule im 2013. Die Schule war finanziell nicht mehr tragbar, weil aufgrund des Alters der Benediktinerinnen externe Lehrpersonen angestellt werden mussten. Trotz diesen Anstrengungen ist die Zukunft des Klosters ungewiss. Die Klosterfrauen leben von den Zinsen der Liegenschaftsverpachtung. Priorin Irene ist mit 59 Jahren die Jüngste im Kloster, die meisten sind über 80 Jahre alt, der Nachwuchs fehlt. «Viele Menschen suchen nach Spiritualität, Stille und Gemeinschaft. Das Kloster an sich ist etwas Attraktives, aber die monastische Struktur braucht Erneuerung. Die Trauben sind am Reifen, nun braucht es neue Schläuche, um den Wein einzufüllen.» Konkreter will Priorin Irene nicht werden. Noch nicht. An der Vorlesung, die sie nächste Woche anlässlich der Ehrendoktorverleihung an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg hält, will sie mehr dazu sagen.

Ihr unerschütterlicher Glaube hilft ihr, geduldig zu sein und auch schwierige Zeiten zu überstehen. Das war ihr schon als Jugendliche eine Hilfe, als sich ihre Mutter, die an Depressionen litt, das Leben nahm und ihr Bruder ein paar Jahre später starb. «Als Jugendliche hatte ich das Gefühl, niemand versteht mich – ausser Gott. Diesen kindlichen Glauben konnte ich weiterentwickeln und fühle mich nun im Gebet und in der Stille auf Augenhöhe mit Gott.»

Andere in der Stille anzuleiten, kam nicht nur während der Predigt in Rom gut an. Auch das Militärkader habe die Schweigeminuten während ihrer Ansprache geschätzt. «Ich habe viele positive Rückmeldung erhalten.» Ob Bundespräsidentin Viola Amherd in ihrem Grusswort das Thema Stille aufnimmt, weiss die Priorin nicht. Sie freut sich einfach, dass die Bundespräsidentin ihre Schuld einlöst und das Thema Gleichberechtigung in der Kirche Aufmerksamkeit bekommt. Was sie mit dem Preisgeld macht, will sie noch nicht verraten, nur so viel: «Es wird etwas sein, das für alle sichtbar ist und in der Kirche steht.» Die Teilnahme an der Preisverleihung ist bereits ausgebucht.

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