101 Jahre: Zwei Wettingerinnen feiern hohen Geburtstag

Die ehemalige «Sonne»- Wirtin Gertrud Herrmann- Hildebrand ist am 5. Dezember 101 Jahre alt geworden. Die erste Wettinger Fahrlehrerin Margrit Fehlmann begeht ihr 101. Wiegenfest am 1. Januar. Was sich beide wünschen.

Frühere «Sonne»-Wirtin Gertrud Herrmann-Hildebrand. Sibylle Egloff Francisco

Frühere «Sonne»-Wirtin Gertrud Herrmann-Hildebrand. Sibylle Egloff Francisco

Erste Fahrlehrerin Margrit Fehlmann.Andrea Zahler

Erste Fahrlehrerin Margrit Fehlmann.Andrea Zahler

Mit einem festen Händedruck und freudestrahlend begrüsst Gertrud Herrmann-Hildebrand die Redaktorin zur Feier ihres 101. Geburtstags. Ein kurzer Schwatz, dann sitzt die Jubilarin wieder an den Tisch und nimmt die Karten in die Hand. Ihren Ehrentag am 5. Dezember verbringt die Seniorin beim Jassen. «Das ist ihre grosse Leidenschaft», sagt ihre Enkelin Sandra Rudin-Kurt. Sogar Gemeindeammann Roland Kuster jasst eine Runde mit, als er Gertrud Herrmann-Hildebrand seine Glückwünsche und einen Blumenstrauss überbringt.

Gefeiert wird mit Familie und Stammgästen im Restaurant Sonne in Wettingen. Das Restaurant samt Hotel im markanten gelb gestrichenen Gebäude mit Baujahr 1831 ist seit 1962 im Familienbesitz. Gertrud Herrmann-Hildebrand kaufte die Liegenschaft an der Landstrasse 131 mit ihrem damaligen Ehemann und legte damit den Grundstein für eine langjährige Familientradition. Knapp 40 Jahre lang wirkte sie als Wirtin in der «Sonne» und zog als Geschäftsfrau die Fäden. «Sie hat das Büro gemacht. Zahlen waren immer ihr Ding», erinnert sich ihre Enkelin.

Im Jahr 2000 verwandelte Gertrud Herrmann-Hildebrand das Lokal in eine AG und übergab es ihrem einzigen Sohn Fritz Kurt und dessen Frau Dora. Diese stiegen bereits 1984 in den Familienbetrieb ein und führten das Restaurant bis zu ihrem Tod 2010.

Enkelin kämpft um Fortbestand der Familientradition

Heute ist die dritte Generation für die urchige Wettinger Beiz verantwortlich. Sandra Rudin-Kurt und ihre Schwester Jacqueline Kurt leiteten das Restaurant und den Hotelbetrieb seit 2011. Seit dem überraschenden Tod ihrer Schwester im November steht Sandra Rudin-Kurt nun alleine da. Aktuell ist das Restaurant geschlossen. «Ich brauche Zeit zum Trauern und muss mich neu orientieren», sagt sie. Weitergehen soll es aber. «Das ist das Lebenswerk meiner Grossmutter. Ich kämpfe dafür, dass die Familientradition fortbesteht.»

Das Fest wegen des Todesfalls abzusagen, kam nicht infrage. «Meine Grossmutter und wir alle sind über den Verlust sehr traurig. Doch sie hat es nicht verdient, dass wir ihren hohen Geburtstag deswegen nicht feiern», findet ihre Enkelin.

Geboren und aufgewachsen ist Gertrud Herrmann-Hildebrand in der Stadt Zürich in Wipkingen. Sie arbeitete im Lohnbüro von PKZ und Jelmoli. Durch ihren zweiten Ehemann fand sie den Weg ins Gastgewerbe. Mit ihm wirtete sie im Restaurant Central in Dietikon, bevor sie 1962 nach Wettingen kam. Bis heute wohnt die rüstige Seniorin in der Wirtewohnung der «Sonne». Sandra Rudin-Kurt und ihre Familie, die gleich nebenan wohnen, kümmern sich mit Hilfe der Spitex um sie. «Sie ist für ihr Alter noch sehr selbstständig und fit, auch im Kopf. Das hat auch damit zu tun, dass sie bis heute jasst und Kreuzworträtsel löst», sagt ihre Enkelin.

«Ich freue mich sehr, dass ich meinen 101. Geburtstag im Kreise meiner Lieben feiern kann», sagt Gertrud Herrmann-Hildebrand, als sie eine Jasspause einlegt. Damit meint sie nicht nur ihre Enkelinnen Gerda Kurt und Sandra Rudin-Kurt sowie deren Ehemann Patrick Rudin, sondern auch ihren einzigen Urenkel, den neunjährigen Dominik Rudin.

«Die Familie steht immer an erster Stelle», sagt Gertrud Herrmann-Hildebrand. Sie sei froh, dass ihre Enkelin die «Sonne» weiterführen werde, und zeigt sich dankbar für die Hilfe im Alltag. «Sandra bringt mich jeden Abend ins Bett und zieht mir schöne Bettsocken an», sagt sie und lacht.

 

Christusstatue in Rio beeindruckte sie

Ihr Rezept für ein langes Leben? «Man muss mit wenig zufrieden sein», sagt die Jubilarin. Sie habe stets versucht, das Beste aus jeder Situation zu machen, auch wenn es manchmal nicht einfach gewesen sei. Schöne Momente hatte sie nicht nur im Kreise der Familie, sondern auch auf Reisen. «Ich habe viel von der Welt gesehen, war zum Beispiel in der Karibik, in Thailand oder in Brasilien. Die Christusstatue in Rio de Janeiro hat mich besonders beeindruckt», erzählt die 101-Jährige. Für das neue Lebensjahr wünscht sie sich Gesundheit. «In meinem Alter ist das nicht selbstverständlich», sagt Gertrud Herrmann-Hildebrand und nimmt die Jasskarten wieder in die Hand.

Ihren 101. Geburtstag feiert bald auch Margrit Fehlmann. Sie wohnt von der «Sonne» unweit entfernt im Alterszentrum St. Bernhard, wo sie seit zwei Jahren zuhause ist. Margrit Fehlmann ist am 1. Januar 1924 in Ennetturgi geboren und mit zwei Geschwistern aufgewachsen.

Der Vater Ulrich Künzler ist Elektriker und installiert unter anderem Strassenlaternen. Als Margrit Fehlmann neun Jahre alt ist, verstirbt der Vater überraschend bei einem Arbeitsunfall. Margrit Nigg, Margrit Fehlmanns Mutter, muss die drei Kinder fortan allein grossziehen.

Die Jubilarin besucht die Bezirksschule in Baden und bildet sich zur Weissnäherin aus, einer ganz speziellen Schneiderin, die Laken, Handtücher und Tischdecken fertigt.

Am 1. September 1945 heiratet sie Ernst Fehlmann, den sie im früheren Brauerei-Gasthaus Falken in Baden beim Tanzen kennen lernt. Das Paar zieht nach Wettingen. 1953 kommt ihr Sohn Roland zur Welt.

Sie verhalf manchem Wettinger zum Autobillett

Mit ihrem Mann Ernst gründet sie die Fahrschule Fehlmann und verhilft als erste Fahrlehrerin im Dorf so mancher Wettingerin und so manchem Wettinger zum Autobillett. Ihr Sohn übernimmt später das Geschäft.

Nicht nur das Autofahren, sondern auch das Skifahren und Wandern gehörten zu ihren Leidenschaften. Kein Wunder also, dass sie sich noch heute gerne draussen an der frischen Luft aufhält. Egal bei welchem Wetter geniesst die Seniorin den Spaziergang durchs Langäcker-Quartier. Musikalisch begabt war Margrit Fehlmann ebenso. Sie spielte Handorgel. Ihre Augen strahlen, wenn sie darauf angesprochen wird. Gesungen habe sie ebenfalls immer gerne. Das merkte auch das Pflegepersonal beim Singen mit den Bewohnenden.

Doch nun sei ihre Stimme zu schwach, flüstert Fehlmann. Das Gehör mache leider auch nicht mehr mit. Doch grundsätzlich sei sie zufrieden, auch wenn nicht mehr alles so funktioniere, wie sie sich das wünsche.

Sie schüttelt den Kopf und verrührt die Hände, als sie gefragt wird, ob sie gedacht hätte, dass sie jemals so alt werden würde. «Nein, so weit denkt man doch nicht», sagt sie. Freudig sieht sie nun ihrem Geburtstag entgegen. Mit leiser, aber bestimmter Stimme sagt sie: «Ich wünsche mir ein Fest mit Alphornbläsern.»

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