«Es braucht Leute mit Erfahrung»
Christian Wassmer will als Gemeinderat und Vizeammann kandidieren. Warum er dafür sogar aufs Amt als Einwohnerratspräsident verzichten würde und welche Erfahrung er einbringen möchte, sagt er im Interview.

Trotz Pensionierung sind die Tage von Christian Wassmer ausgefüllt: Anfang März nahm er am Engadin Skimarathon teil, sechs Wochen lang wird er als Guide Mountainbiketouren im Ausland begleiten und für den Landhockeyclub hat er gerade die Abrechnung eines internationalen Turniers erstellt. Trotzdem mailt er auf die Interviewanfrage sofort mehrere Terminvorschläge und steht am 26. Februar am Stubentisch in seinem Wohnhaus Red und Antwort.
Sie haben sich mit 59 Jahren kürzlich frühpensionieren lassen; das Amt im Gemeinderat würde Ihre neugewonnene Freiheit einschränken … Sie sagen es richtig, ich habe mich frühpensionieren lassen, sehr früh. Ich habe noch Energie und Kraft, die ich einsetzen will. Politik ist eine Passion von mir, die ich auf einer neuen Ebene weiterführen will. Ich habe immer in Wettingen gelebt, die Gemeinde liegt mir am Herzen und ich möchte einen Beitrag für die Allgemeinheit leisten.
Der Gemeindeammann gehörte jahrzehntelang der Mitte-Partei an, so wie Sie. Haben Sie nie überlegt, auch als Gemeindeammann zu kandidieren? Überlegt habe ich es, doch ich bin schnell zum Schluss gekommen, dass es in dieser Lebensphase für mich keine Option ist. Ich war beruflich sehr engagiert und belastet und habe meine Lebensarbeitszeit erfüllt. Ich will keinen Vollzeitjob mehr, sonst hätte ich ja weiterarbeiten können. Denn diese Arbeit hat mir auch Spass gemacht.
Was haben Sie gearbeitet? Ursprünglich habe ich Maschinenbau studiert und dann in die IT-Branche gewechselt, wo ich die letzten 25 Jahre in der Beratung tätig war. Im jetzigen Veränderungsprozess mit der Verwaltungsreform braucht es in Wettingen Leute mit Erfahrung, beispielsweise in Change-Management-Prozessen. Leute, die wissen, wie man eine Organisation aufbaut und einen Strategieprozess vorantreibt. Dieses Wissen kann ich einbringen, sodass man dafür keine externe Unterstützung holen müsste.
Sie sind seit 17 Jahren Mitglied des Einwohnerrats und kennen die Lokalpolitik. Das kann ein Vorteil sein, kann aber auch dazu führen, dass der Aussenblick fehlt. Beides ist wichtig. In den acht Jahren in der Finanzkommission bekam ich einen tiefen Einblick in viele Geschäfte. Als Berater habe ich mir aber auch den Aussenblick antrainiert; es ist nie gut genug und ein dauernder Verbesserungsprozess. Dieses Denken liegt in meinen Genen. Damit ecke ich auch mal an, bringe aber dadurch den Aussenblick mit. Wenn man Personen, Abläufe und Ressorts kennt, muss man nicht bei null anfangen, sonst ist die Einarbeitungszeit extrem lang.
Ist es nicht zu spät, mit 59 Jahren ins erste politische Exekutivamt einzusteigen? Ich bin mit 40 Jahren in die Lokalpolitik eingestiegen, als meine drei Kinder die Primarschule beendet hatten, es mich als Vater nicht mehr so stark brauchte und es parallel zum Beruf möglich war. Mein Ziel sind zwei Amtsperioden, dann bin ich 67 Jahre alt. Ich fühle mich noch jung.
Ihre Kandidatur fürs Gemeinderatsamt haben Sie schon lange bekannt gegeben, diejenige als Vizeammann erst kürzlich. Wieso? Ich wollte es am Anfang offenlassen. Als Gemeinderat Markus Haas seine Kandidatur als Ammann bekannt gab, ging ich dann davon aus, dass keiner der anderen Bisherigen kandidieren wird. Die Konstellation mit Markus Haas könnte ich mir gut vorstellen.
Sie amten zurzeit als Vize im Einwohnerrat und müssten bei einer Wahl in die Exekutive aufs Präsidentenamt verzichten, würde Sie das nicht reuen? Das Einwohnerratspräsidium ist ein Ehrenamt, ich hätte das zum Schluss meiner politischen Karriere gerne gemacht. Aber Gemeinderat wäre eine grosse Kompensation. Und klappt die Wahl nicht, hätte ich einen schönen Trostpreis (lacht).
Lilian Studer (EVP), die derselben Fraktionsgemeinschaft angehört (zum Zeitpunkt des Interviews, inzwischen haben sich die Fraktionen getrennt, Artikel S. 8), ist Ihnen mit der Bekanntgabe der Kandidatur zuvorgekommen. Spricht man sich nicht ab? Nein, wir sind zwei unabhängige Parteien, jede entscheidet für sich. Wir haben weder von ihrer Kandidatur gewusst noch sie erwartet.
Hätten Sie gerne vorher davon gewusst? Sagen wir es mal so: Ihre Kandidatur hat die Partnerschaft der beiden Parteien nicht gestärkt. Wir hätten es geschätzt, wenn sie das Gespräch gesucht hätten, bevor sie unseren Sitz angreifen.
Angreifen? Ist es nicht üblich, dass es bei Gesamterneuerungswahlen zu Rochaden kommt? Die Mitte ist in Wettingen die stärkste Partei, wenn jemand zwei Sitze zugut hat, dann wir. Und ich fände es gut, wenn die SVP wieder im Gemeinderat vertreten wäre, weil sie ebenfalls eine grosse Wählerschaft hat.
Zum zweiten Mal in Folge hat das Stimmvolk das Budget zuerst abgelehnt, das der Gemeinderat vorgelegt und der Einwohnerrat genehmigt hat. Ein Misstrauensvotum? Klar, wir haben das Budget mitgetragen, weil wir vertieften Einblick in die finanzielle Situation hatten und die Notwendigkeit sahen. Aber ich nehme keine grundsätzliche Kritik gegenüber des Einwohnerrats, sondern ein grosses Misstrauen gegenüber dem jetzigen Gemeinderat wahr. Ich finde jedoch, der Gemeinderat hat bei dieser Abstimmung vieles richtig gemacht und gut informiert.
Was würden Sie tun, um das Vertrauen zurückzugewinnen? Zuhören, informieren und mein gutes Sensorium in Bezug auf die Anliegen der Bevölkerung nutzen. Manchmal braucht es nur eine kurze Information, um Unstimmigkeiten zu verhindern. So wie kürzlich, als vor der Baumfällung auf dem Bahnhofareal über die Gründe informiert wurde.
Gesamterneuerungswahlen Gemeinderat
Am 28. September wird die Exekutive für die Legislatur 2026–2029 gewählt. Ammann Roland Kuster (Mitte), Vizeammann Markus Maibach (SP) und Gemeinderat Sandro Sozzi (Mitte) stellen sich nicht mehr zur Verfügung. Die Bisherigen Kirsten Ernst (SP), Martin Egloff und Markus Haas, beide FDP, und Philippe Rey (parteilos) kandidieren nochmals, Haas auch als Ammann und Rey als Vize. Bisher haben zudem folgende Neuen ihre Kandidatur bekannt gegeben: Roland Brühlmann (Mitte), Jürg Meier Obertüfer (WettiGrün) sowie als Vize Lilian Studer (EVP) und Christian Wassmer (Mitte); als Ammann Adrian Knaup (SP) und Orun Palit (GLP). In der Limmatwelle werden in loser Folge Interviews mit den Kandidierenden fürs Ammann- und Vize-Amt publiziert. Im Sommer werden die Gemeinderatskandidierenden vorgestellt.(bär).