Die Alternative mit den feinen Bewegungen
«Wenn Stille bewegt», lautet der Slogan des Branchenverbandes Cranio Suisse. Mehr als 200 Therapeuten beteiligen sich an der nationalen Woche und geben ab Montag Einblick in ihre Arbeit. Eine von ihnen ist die Wettingerin Andrea Kübler.

«Stille, die bewegt» steht auf der Fahne, die vor dem Haus an der Büntstrasse in Wettingen von Andrea Kübler steht. Sie ist eine der über 1300 aktiven Craniosacral-Therapeutinnen und -Therapeuten, die dem Verband in der Schweiz angehören.
Öffnet man die Türe, um via Garten dem Haus entlang in Küblers Praxiszimmer im Untergeschoss zu gelangen, wird man hingegen keineswegs von Stille empfangen. Im Gegenteil: Lautes Hundegebell ertönt. «Das sind meine fünf Hunde», sagt die 55-Jährige und lacht. Sie sind auch der Grund, warum sie frühestens um 9 Uhr morgens die ersten Kunden empfängt. Vorher ist ein Spaziergang mit den Vierbeinern angesagt.
30 Jahre lang hat Kübler als medizinische Praxisassistentin in verschiedenen Arztpraxen gearbeitet. Die Hälfte davon in einer Kinderarztpraxis in Baden. «Schulmedizin ist gut, doch sie hilft nicht immer», sagt sie. Das hat sie am eigenen Leib erfahren. Kübler litt an der Autoimmunerkrankung Psoriasis-Arthritis, die eine chronisch entzündliche Erkrankung der Wirbelsäule und der Gelenke sowie Schuppenflechten hervorruft. Irgendwann waren die Schulterschmerzen so stark, dass sie Schlafprobleme bekam. Sie nahm Schmerzmittel und Cortison. «Ich wusste nicht mehr weiter und suchte Hilfe bei einer Craniosacral-Therapeutin und nahm verschiedene Vitalstoffe zu mir.» Kübler streicht sich über die Arme und sagt: «Nach mehreren Monaten Behandlung sind die Beschwerden fast verschwunden.»
Um noch mehr über das Thema zu erfahren, entschied sie sich 2017, die Ausbildung als Craniosacral-Therapeutin zu machen. Nach der berufsbegleitenden Ausbildung und vielen Stunden Lernen, erhielt sie drei Jahre später nach bestandener Prüfung das Branchenzertifikat. Seither hilft sie nur noch ab und zu in Arztpraxen als medizinische Praxisassistentin (MPA) aus und arbeitet knapp 40 Prozent als Craniosacral-Therapeutin in der Praxis im eigenen Haus.
Als Alternativmedizin anerkannt
Seit acht Jahren ist Craniosacral- Therapie eine eidgenössisch anerkannte Methode der Komplementär-Therapie. Wer wie Kübler die Ausbildung mit dem Branchenzertifikat abschliesst, wird von den Krankenkassen anerkannt. «Trotzdem erhalte ich auch kritische Rückmeldung, manche stempeln es als Gugus ab», sagt sie. Gerade eben habe ein kritischer Nachbar ihren Mann auf die Fahne beim Eingang angesprochen. Auch ihr erwachsener Sohn sei skeptisch gewesen, als sie ihm erklärte, dass sie mit der Pulsierung des Liquors – dem cranosacralen Puls – arbeite, eine im Gehirn und Rückenmark vorkommende Körperflüssigkeit. Um ihm zu zeigen, dass die Zirkulation dieser Flüssigkeit spürbar ist, liess sie ihn einen aufgeblasenen Ballon zwischen Beinen und Händen halten. «Der bewegt sich ja, ohne dass ich mich bewege», habe er erschrocken zu ihr gesagt.
Therapeuten in Wettingen und Würenlos beteiligen sich
«Durch leichte Berührungen der Knochen und Schädelknochen rege ich den Kreislauf dieser Flüssigkeit an und gebe dem Körper den Impuls, sich wieder in die richtige Form zu geben und sich selbst zu heilen.» Als Vergleich nennt die Therapeutin ein Kabel, das verwickelt sei und sich durch leichtes Ziehen wieder löse. «Viele können sich nicht vorstellen, dass durch diese leichten Bewegungen und Impulse etwas ausgelöst wird», sagt sie, «in der Stille also etwas bewegt wird.»
Damit die Leute diese Erfahrung selbst machen können, organisiert der Verband die nationale Woche der Craniosacral-Therapie. Wer will, kann bei einem der teilnehmenden Therapeuten einen kostenlosen Probetermin machen. Im Limmatwelle-Gebiet nehmen ausser Andrea Kübler in Wettingen auch Marko Nedeljkovic teil und in Würenlos Tamara Allenspach und Claudia Berglas Bühler.
«Erfolgsgarantie geben wir zwar keine und bei Beschwerden, die über Monate andauern oder chronisch sind, reichen ein, zwei Termin meistens nicht aus. Bei kleineren Beschwerden manchmal schon», sagt Kübler und nennt als Beispiel eine Mutter, die mit ihrem Baby vorbeikam. Es habe in der Nacht viel geweint, was auch den Schlaf der Mutter beeinträchtigte. Auch als es zur ersten Behandlung kam, habe es fast nur geschrien. Aus ihrer Erfahrung als MPA in der Kinderarztpraxis und mit den eigenen mittlerweile erwachsenen Kindern riet Kübler der frischgebackenen Mutter, auf den Tag-Nacht-Rhythmus zu achten. Das wirkte. Bei der zweiten Behandlung sei das Kind wie ausgewechselt gewesen und Kübler konnte in Ruhe mit leichten Bewegungen an Füssen und Kopf den cranosacralen Puls des Babys anregen. Solche Erlebnisse freuen sie und geben Motivation, wenn ihre Therapie bei einem Patienten mal nicht zum gewünschten Erfolg führt. «Gerade dann, wenn jemand kurze Zeit nach der Therapie wieder gestresst zu mir kommt und ich ihm raten muss, etwas im Leben zu ändern, weil die stressbedingten Beschwerden sonst immer wieder zurückkehren.»
Es ist Mittag geworden. Andrea Kübler schliesst die Praxistüre, geht die Treppe rauf und wird vom Gebelle ihrer Hunde empfangen – zu sehen sind die Vierbeiner hingegen nie. «Nicht alle mögen Hunde», begründet Andrea Kübler. Für sie sind die Hunde jedoch ein Ausgleich zur ruhigen Tätigkeit in der Alternativmedizin.
Infos zur nationalen Woche der Craniosacral-Therapie vom 30. Oktober bis 5. November: www.cranio-erleben.ch