«Ich gewichte diesen Nutzen höher»

Zurzeit sammelt Margrit Wahrstätter Unterschriften, damit das Volk über die vom Einwohnerrat abgelehnte Umzonung «Berg» entscheiden kann. Wer ist sie und was hat sie dazu bewegt, das Referendum zu ergreifen?

Margrit Wahrstätter sammelte im Chlosterbrühl Unterschriften.  Ian  Stewart
Margrit Wahrstätter sammelte im Chlosterbrühl Unterschriften. Ian Stewart

Margrit Wahrstätter (EVP) ist keine Unbekannte in der Wettinger Lokalpolitik. Sie ist die einzige Frau, die in Wettingen je als Einwohnerratspräsidentin amtete (2000/2001), sie war Grossrätin (1998–2002) und kehrte nach zwanzig Jahren Pause in den Einwohnerrat zurück. «Weil es wichtig ist, dass auch Frauen vertreten sind», begründet sie ihr Comeback.

Dass sie nun als Pensionierte auch noch ein Referendum ergreift, hat sie sich gut überlegt und dieses erst elf Tage nach dem Einwohnerratsentscheid eingereicht. «Der Therapiehof ist ein so tolles Angebot, das soll in Wettingen nicht verschwinden», sagt Margrit Wahrstätter. Die Einwohnerrätin sei deshalb sehr enttäuscht gewesen, als die Mehrheit ihrer Ratskolleginnen und -kollegen am 7. September gegen die Umzonung stimmte (23 Nein, 22 Ja, 1 Enthaltung, die Limmatwelle berichtete), die einen Neubau und damit den Weiterbestand möglich gemacht hätte.

Mit HPS-Schülern Schafe besucht

Wahrstätter hat von 2002 bis 2016 in der Heilpädagogischen Schule (HPS) Wettingen gearbeitet. Zuerst als Hauswirtschaftslehrerin, zuletzt als Schulleiterin. Dort lernte sie Eva Sozzi kennen, die als Lehrperson für Textiles Werken arbeitete. Um den Schülerinnen und Schülern im Rahmen des Unterrichts zu zeigen, woher die Wolle stammt, die sie weiterverarbeiten, besuchte sie mit den Kindern die Schafe auf dem Hof. «Das war der Anfang der Stiftung, die zuerst als Einzelpersonfirma geführt wurde», weiss Wahrstätter. Weil HPS-Schüler aufgrund ihrer Behinderung nicht wie Gleichaltrige in der Regelklasse Unterricht im Wald verbringen könnten, wurde der Hof zum Ersatzort. Schliesslich absolvierte Sozzi eine Tier-Therapeutische Ausbildung und baute das Angebot aus.

«Das alles habe ich hautnah miterlebt und gesehen, mit wie viel Herzblut der Therapiehof aufgebaut wurde», sagt Wahrstätter und fügt an: «Ich sah, wie glücklich die Kinder waren, wenn sie Zeit auf dem Hof verbrachten.» Diese persönlichen Erfahrungen haben sie dazu bewogen, sich auch im Einwohnerrat für die Umzonung einzusetzen. Vergebens.

Als Politikerin könne sie aber auch nachvollziehen, dass man grundsätzlich gegen die Aufhebung von Schutzzonen ist. «Doch in diesem Fall gewichtige ich den Nutzen der Therapieplätze höher», sagt sie. Also heiligt der Zweck die Mittel? «Jawohl. Und ich weiss, dass Ausgleichsmassnahmen umgesetzt würden, damit die Umgebung nicht nur für die Hoftiere, sondern auch für Vögel, Kröten und andere Kleinlebewesen passen.»

Pro Natura Aargau wartet ab

Pro Natura Aargau hatte seinerzeit Einwendung gegen die Teilrevision der Nutzungsplanung gemacht. «Beim Referendum mischen wir uns nicht ein. Grundsätzlich finden wir es eine gute und wichtige Diskussion, die von der Bevölkerung geführt werden soll. Wenn dann ein Entscheid vorliegt, wird der Vorstand die Situation erneut prüfen und Stellung dazu nehmen», sagt Matthias Betsche, Geschäftsführer von Pro Natura Aargau auf Anfrage.

Die Quartierbewohner, die im August in einem Leserbrief in der Limmatwelle ihre Bedenken äusserten, haben ihre Meinung nicht geändert. «Dieses Bauprojekt würde unser kleines Paradies zerstören», schrieben sie darin und setzen sich weiterhin gegen die Umzonung ein. Natascha Blank, eine der Quartierbewohnerinnen, begründet auf Anfrage: «Von Anfang an hätte ein Ersatzstandort ernsthaft in Erwägung gezogen werden müssen – das wäre und ist der richtige Weg, anstatt einen Standort ohne oder mit geringer Rücksicht auf das Landschaftsbild zu wählen.»

Zeit bis am 16. Oktober

Schafft es Wahrstätter bis am 16. Oktober 623 Unterschriften zu sammeln, wird das Volk voraussichtlich im Frühjahr 2024 an der Urne über die Umzonung abstimmen. Der Gemeinderat kann auch einen Urnengang ausserhalb der kantonalen und nationalen Abstimmungsterminen festlegen, was jedoch mit zusätzlichen Kosten verbunden ist.

Noch bis letztes Jahr hätte Wahrstätter, die von Privatpersonen und ihrer Partei unterstützt wird, doppelt so viele Unterschriften sammeln müssen. Mit der Änderung im Gemeindegesetz, das per Anfang dieses Jahres in Kraft trat, müssen nicht mehr zehn, sondern nur noch fünf Prozent aller Stimmberechtigten das Referendum unterzeichnen, damit es zustande kommt. «Ich hoffe, dass es reicht», zeigt sich Wahrstätter optimistisch. Im Moment erhält sie viel Unterstützung von Privatpersonen und ist selbst mit dem Unterschriftenbogen unterwegs, um Unterstützerinnen und Unterstützer zu finden. Sollte das nicht reichen, wird sie im Oktober weitere Sammelaktionen starten.

Stiftungsrat fühlt sich bestärkt

Die Stiftung zeigt sich erfreut und begrüsst das Referendum. «Die vielen positiven und wohlwollenden Leserbriefe wie auch die zahlreichen persönlichen Rückmeldungen bestärken den Stiftungsrat darin, das Projekt weiterhin mit Elan voranzutreiben», schreibt der Stiftungsrat in einer Mitteilung. Zudem teilt er mit, dass der Therapiebetrieb bis auf Weiteres im Gewohnten Umfang weitergeführt wird.

Worum geht es?

Die Stiftung «Begegnung mit Tieren» will mit dem Neubauprojekt «Therapiehof Lägern» ihren Betrieb langfristig sichern. Zurzeit befindetn sich Stallungen und Büroräumlichkeiten auf dem Privatareal der Familie Sozzi. Um Privates vom pädagogisch-therapeutischen Angebot zu trennen, wurden vor zehn Jahren eine Stiftung gegründet und die gegenüberliegenden Parzellen erworben. Darauf befinden sich bereits Kleintierställe. Nach jahrelanger Planung stimmte der Kanton im März 2022 und danach auch der Gemeinderat zu, die Landwirtschaftszone in die Spezialzone Berg umzuwandeln. Der Einwohnerrat lehnte die Umzonung ab. Um das Projekt zu realisieren, wäre diese nötig. Geplant ist, eine 225 m² grosse Reithalle mit Aussensandplatz, eine untergeschossige Garage sowie ein Infrastrukturgebäude mit Büro und sanitärer Anlage, ein 300 m² grosser Pferdestall und ein 70 m² grosser Eselstall und eine Kleintieranlage zu erstellen. Gegen den Einwohnerratsentscheid wurde das Referendum ergriffen. Kommt es zustande, stimmt das Volk voraussichtlich im Frühjahr 2024 über die Umzonung ab. (bär)

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