Jaroslav Hubička suchte Abenteuer und fand Gelassenheit
Knapp 14000 Kilometer legte Jaroslav Hubička auf seiner Reise mit dem Motorrad von Wettingen bis China zurück. Er kam an seine Grenzen und lernte gleichzeitig Gelassenheit.
«Ich besitze jetzt auch einen chinesischen Führerschein», sagt Jaroslav Hubička und legt einen kreditkartengrossen Plastikausweis mit chinesischen Schriftzeichen auf den Tisch im Garten des Reiheneinfamilienhauses in Wettingen. China war das letzte der vierzehn Länder, das der 69-Jährige, während seiner 47-tägigen Motorradreise im Frühjahr bereist hat. «Die Chinesen akzeptieren keine europäischen Führerausweise», erzählt Hubi, wie er von allen genannt wird. Der ehemalige Automechaniker und die anderen 14 Töfffahrer mussten vor der Weiterfahrt in China deshalb eine Theorie- und Praxisprüfung sowie einen Arztcheck absolvieren. «Zum Glück mussten wir nur aufs richtige Bild zeigen und keine Texte lesen bei der Theorieprüfung, sonst wären wir alle durchgefallen», sagt er lachend.
Dieses Erlebnis war eines von vielen, das ihn die Kulturunterschiede spüren liess. In China funktionierten keine Apps aus westlichen Ländern, in Russland mussten sie das Handy für mehrere Stunden zur Überprüfung abgeben. Bis nach China wurden sie von einer Reiseleiterin, einem Mechaniker und einem Fahrer des deutschen Reiseorganisators begleitet. Gab es eine Panne, wurde versucht, vor Ort zu reparieren. Gelang das nicht, wurden Fahrer und Motorrad aufgeladen. «Damit der Zeitplan eingehalten werden konnte», begründet Hubi. In China gab es einen Crew-Wechsel. Einheimische begleiteten die 13 Töfffahrer und die eine Töfffahrerin in den 20 Tagen, die sie dort verbrachten. «Wir wurden immer gut im Auge behalten», sagt er und lacht wieder.
Der Traum vom Töfffahren
Die fremde Kultur, die Landschaft und die Menschen waren der Grund, weshalb er die Länder im Osten bereisen wollte. «Es war schon immer mein Traum, einmal mit dem Motorrad durch Russland und China zu reisen. Eigentlich weiss ich gar nicht warum.» Hubi hat in seinem Leben schon viele Länder gesehen, bereiste mit dem Töff den Tibet, Südafrika und Amerika – doch keine Reise sei so speziell gewesen wie die letzte. «Ich kam an meine Grenzen», sagt er. Rund die Hälfte der Strassen waren Schotterpisten, teilweise mit tiefen Löchern. Oft sei es so staubig gewesen, dass die Sicht stark eingeschränkt war. Und auch das Essen und die Unterkünfte seien oftmals schlecht gewesen. Dreimal sei er gestürzt, einmal habe sich sein Töff überschlagen. «Ich bin ein guter Fahrer und kein Raser, so etwas ist mir noch nie passiert. Da fragte ich mich schon, warum mache ich das?» «Das aus der Ferne mitzubekommen war nicht einfach», sagt seine Lebenspartnerin, Susanne Bauer. Sie selbst fährt nicht Töff, hat ihn als Beifahrerin aber auf vielen Reisen begleitet und war diesmal zu Hause geblieben. Aufgeben wäre jederzeit möglich gewesen – doch freiwillig sei das für keinen von ihnen eine Option gewesen. «Einer liess sogar ein in China nicht erhältliches Ersatzteil durch seine Frau herbringen, damit er weiterfahren konnte.»
Viel Zeit zum Nachdenken
Ein schwerer Sturz eines Reisekollegen beendete dessen Reise in Kirgistan. Er musste schwer verletzt in sein Heimatland zurückgeflogen werden. Ein Tiefpunkt für die ganze Gruppe. Mittlerweile gehe es ihm wieder gut. «Trotz diesen Tiefpunkten oder vielleicht gerade weil wir deswegen an unsere Grenzen kamen, hat mich die Reise verändert», sagt er nachdenklich. Fünf Tage hintereinander sass jeder alleine auf seinem Töff und legte zwischen 150 und 800 Kilometer pro Tag zurück. Dann gabs einen Tag Pause. «Während der langen Fahrt auf dem Motorrad hat man viel Zeit für sich. Niemand will etwas von einem, man ist einfach für sich. Das Programm ist vorgegeben, man fährt und fährt und ist in einer Art Trance.»
Er habe sich auf die Reise gemacht, um ein Abenteuer zu erleben, und hatte plötzlich viel Zeit zum Nachdenken – über sich und sein Leben. «Und ich habe mich selbst gefunden, habe Frieden geschlossen mit mir und dem Leben», sagt er. Er sei gelassener geworden und ärgere sich nicht mehr über Kleinigkeiten. «Weil mir bewusst wurde, wie gut mein Leben ist – das habe ich vorher als selbstverständlich angeschaut.»
Ein Leben, das ihn mit 25 Jahren von Tschechien in die Schweiz brachte, von wo auch Susanne Bauer stammt. Kennengelernt haben sich die beiden vor 32 Jahren am Flughafen in Prag. Er zog zu ihr nach Wettingen, wo sie zusammen mit ihrem Ex-Mann und den beiden Kindern Robin und Katerina das Fachgeschäft «Bauer Sport» aufgebaut hatte. Noch heute helfen Hubi und Susanne im Hintergrund mit. Wenn er nicht gerade als Buschauffeur bei den Regionalen Verkehrsbetrieben Baden-Wettingen einspringt oder sie gemeinsam auf Reisen sind. Das Ziel ihrer nächsten Töffreise ist Portugal. Dort wird Hubis europäischer Führerschein anerkannt und es muss auch kein Land passiert werden, das im Krieg mit dem Nachbarn steht. Gefährlich sei jedoch auch die Reise nach China nicht gewesen, findet er. «Die Russen, die wir trafen, haben sich entschuldigt und gesagt, das sei nicht ihr Krieg, sondern der von Moskau», sagt Hubi. Ihre Geschichten zu hören, habe ihn betroffen gemacht und dankbar für das eigene Leben. Sagt es, steht auf und macht sich parat für die Arbeit. Er springt für einen Chauffeur-Kollegen ein.