Pfarrhaus auch an Weihnachten offen
Im katholischen Pfarrhaus leben fünf Personen mit verschiedenen Religionen und Herkünften in einer Wohngemeinschaft zusammen. An Heiligabend laden sie Alleinstehende zum Znachtessen ein.
Das katholische Pfarrhaus St. Sebastian hat zwei Eingänge, einen im Norden und einen im Süden. Durch einen Gang sind sie verbunden. Von der Nordseite her führt der Weg durch einen barocken Garten, mittendrin eine lebensgrosse Mädchenfigur aus Bronze, die der Wettinger Künstler Walter Hauser geschaffen hat. «Der Garten ist öffentlich zugänglich», sagt Markus Heil, Gemeindeleiter der Katholischen Kirchgemeinde Wettingen-Würenlos, der im Pfarrhaus wohnt. Garten und auch Haus zu öffnen, entspreche der spirituellen Praxis der Gastfreundschaft und der Dankbarkeit. «Das leben wir hier», fügt der Deutsch-Schweizer Doppelbürger an.
Mit «wir» sind der 58-Jährige und seine zwei Mitbewohner und zwei Mitbewohnerinnen gemeint: Jorge Dellamora und seine Frau Marge Oppliger, beide brasilianisch-schweizerische Doppelbürger, sowie die Deutsch-Schweizer Doppelbürger Jürgen Lembke und seine Partnerin Julianne Funk. Seit März 2020 leben sie in einer Wohngemeinschaft im Pfarrhaus. «Am Tag vor dem Lockdown zogen wir ein», so Heil. Als die Pandemie es wieder zuliess, die Türen zu öffnen, luden sie zum jährlich stattfindenden Nachbarschaftsfest ein. Beim diesjährigen zweitägigen Pfarrhaus- und Pfarrgartenfest im Herbst kamen rund 200 Gäste ins Pfarrhaus.
Vielleicht wollten sich die Besucher ein Bild dieser nicht alltäglichen Wohngemeinschaft machen. «Ich würde mal sagen, die Leute waren ‹vorsichtig›», sagt Heil diplomatisch. Sie hätten sich nicht so recht vorstellen können, «wer da wohnt und was sie da machen, denn die Zusammensetzung, in der wir hier im katholischen Pfarrhaus zusammenleben, entspricht nicht dem, was sich die meisten vom Leben im Pfarrhaus vorstellen». Es gebe zwar keine Wohnsitzpflicht mehr, trotzdem werde gewünscht, dass der Pfarrer oder Gemeindeleiter ins Pfarrhaus einzieht, das allerdings zum üblichen Marktpreis vermietet wird. Doch alleine in dieses grosse Haus ziehen, das wollte Markus Heil nach dem Stellenantritt vor bald fünf Jahren nicht. «Da kam mir die Idee, eine Wohngemeinschaft zu gründen, und ich suchte aktiv Mitbewohnende.» Die fünf Bewohner teilen sich zwei Küchen, jede der drei Parteien hat je ein eigenes Bade- und Schlafzimmer, die restlichen beiden Räume werden gemeinsam genutzt.
Lernen von den Unterschieden
Dass verschiedene Leute in einer Wohngemeinschaft in einem Pfarrhaus zusammenleben, ist nicht das einzig Spezielle im Wettinger Pfarrhaus: Die Bewohnenden gehören auch verschiedenen Religionen an. Dellamora und Oppliger sind ordiniert in Soto-Zen-Buddhismus, Lembke und Funk «nicht schubladisierbar, am ehesten würden wir uns als Zen-Buddhisten bezeichnen», so Lembke. Doch so oder so: Sie alle mögen das Schubladisieren nicht. «Warum suchen Menschen nach Unterschieden?», fragt der 62-jährige Dellamora, der als Betreuer in einer Zürcher Einrichtung für Menschen mit Behinderung arbeitet, und fügt an: «Wenn unterschiedliche Leute in Frieden zusammenleben, findet man es komisch, aber wenn sie einander bekriegen, ist es normal.» Für ihn ist weder Religion noch Nationalität wichtig, sondern der respektvolle Umgang miteinander und ob es «gute Menschen sind». «Wir haben Interesse aneinander und lernen voneinander», schätzt Heil die Gemeinschaft.
Verschiedene Arten von Meditation
Auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht nicht so aussieht: Sie haben auch viele Gemeinsamkeiten, beispielsweise das Meditieren beim «Stillsitzen». Wenn es die Zeit zulasse, dann praktizieren sie das gemeinsam. Zu diesem Zweck haben sie den 30 Quadratmeter grossen Abstellraum im Keller mit Reismatten ausgelegt und zum Meditationsraum umfunktioniert. Am Mittwoch trifft sich der 60-jährige Lembke, der hauptberuflich als Projektleiter im Informatikbereich arbeitet und nebenbei als Zen-Lehrer Kurse anbietet, mit einer Gruppe zum Meditieren; am Dienstag und Donnerstag bietet Heil Gruppenabende zum Meditieren mit christlichen Texten an. Und am Morgen kann es vorkommen, dass sich alle beim «Stillsitzen» zufällig im Meditationsraum treffen. Für die 63-jährige Oppliger, die als Lehrerin arbeitet, gehört das am Morgen dazu, um so als chaotische Person, wie sie eine sei, zur Ruhe zu kommen. Trotzdem sei das Wichtigste der Alltag, findet sie: «Es geht darum, präsent zu sein, bei dem was du gerade tust, und mit sich selbst in Verbindung zu kommen.» Als Kind habe ihr das Tanzen geholfen, mit ihrer Hyperaktivität umgehen zu können, «auch Tanzen ist eine Art von Mediation».
«Bei uns ist man herzlich willkommen»
Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Gastfreundschaft. Trotz unterschiedlicher Religionen laden sie an Heiligabend zum gemeinsamen Abendessen ein. «Wer sonst allein daheim ist, darf sich gerne zu uns an den Tisch setzen», sagt Heil, der wisse, dass Alleinsein an Weihnachten doppelt schwierig sei. Zwischen den Gottesdiensten um 18 und 22 Uhr seien auch Nicht-Kirchengänger herzlich willkommen. Und egal an welcher Haustüre sie klingeln, ihnen wird aufgemacht. «Bei uns ist man herzlich willkommen – immer», fügt Marge Oppliger an.
Wer an Heiligabend nicht alleine sein will, ist eingeladen, im Pfarrhaus zu Abend zu essen: 24. Dezember, zwischen 18 und 22 Uhr, Anmeldung bis am 23. Dezember, 9 Uhr beim Pfarreisekretariat st.sebastian@kath-wettingen.ch, Tel. 056 4370857 oder bei Markus Heil unter Tel. 056 4370851.