Ein Drehbuch für den politischen Abend
Lutz Fischer-Lamprecht ist der politisch höchste Wettinger. Am 10. März leitet er die erste Einwohnerratssitzung.
An der konstituierenden Sitzung am 24. Februar wurde Lutz Fischer- Lamprecht (EVP) zum Einwohnerratspräsidenten und damit für zwei Jahre zum politisch höchsten Wettinger gewählt. Am 10. März treten die 50 Parlamentarierinnen und Parlamentarier unter seiner Leitung zur ersten Sitzung der neuen Legislaturperiode mit ordentlichen Geschäften zusammen. Unter den 13 Traktanden sind Geschäfte wie die Abrechnung der Tägi-Sanierung, der Verkauf des Ferienheims Ftan, das Räumliche Entwicklungsleitbild (REL) und die Mehrwertabgabe auf Land. Dazu kommen Vorstösse von Ratsmitgliedern.
Fischer-Lamprechts Funktion beinhaltet, dass er das Parlament durch die Traktandenliste steuert, damit bei Sitzungsschluss wieder einige Weichen in Richtung Zukunft gestellt sind. «Ich werde ein Drehbuch schreiben», sagt FischerLamprecht zu seinen Vorbereitungen. Dazu stützt er sich auf die vom Gemeinderat vorgeschlagene und von ihm abgesegnete Traktandenliste sowie die auch auf der Homepage der Gemeinde publizierten Fraktionsberichte ab: «Aus deren Inhalt sehe ich, auf was ich achten muss.» Weiter hofft er, dass ihn die Fraktionen und die Ratsmitglieder über die Absichten informieren werden. «Mein Vorgänger Christian Pauli hatte sie jeweils um frühzeitige Informationen, auch über neue Vorstösse, gebeten.» Wie seine Vorgänger wird er mit dem Gemeindeammann die Sitzungs vorbesprechen: «Das war immer sehr hilfreich, habe ich gehört.»
«Ich werde die Diskussion für die einzelnen Geschäfte eröffnen», sagt Fischer-Lamprecht. Als Erste wird sich die zuständige Kommission (Finanzkommission oder Geschäftsprüfungskommission) äussern und ihre Anträge abgeben. «Danach erteile ich den Fraktionssprechern und einzelnen Ratsmitgliedern das Wort.» Auch der Gemeinderat kann, ergänzend zu seinem Traktandenbericht, weiter informieren. Ist die Diskussion erschöpft, wird es in der Regel einfach. Der Präsident kann die Abstimmung durchführen und danach zum nächsten Traktandum überleiten.
Gibt es in einer kontroversen Diskussion zusätzliche Anträge, erfolgt eine Abstimmungskaskade. «Allenfalls muss ich verschiedene Anträge einander gegenüberstellen, der obsiegende wird dann dem Antrag des Gemeinderates gegenübergestellt und der wiederum obsiegende kommt in die Schlussabstimmung», erläutert der Präsident. Wird es heikel, kann er auf die juristischen Kenntnisse von Widmer und Blickenstorfer zählen. In Wettingen gibt es noch eine Besonderheit: «Ratsmitglied Leo Scherer (WG) wurde zum juristischen Gewissen des Gemeindeparlaments.»
Die Einwohnerratssitzungen in Wettingen beginnen jeweils um 19 Uhr und dauern in der Regel 3 bis 4 Stunden. «Sind am späteren Abend noch zu viele Traktanden unbehandelt, könnte ich die Sitzung abbrechen und die Beratungen auf die nächste Sitzung vertagen.» Denkbar wäre, die Reihenfolge der Traktanden zu ändern, um dringende Traktanden zuerst zu behandeln. Das Drehbuch hat noch einen weiteren Zweck: «Sollte ich einmal ausfallen, dient es Vizepräsident Christian Oberholzer (SP), der übernehmen müsste.»
Vom Säuliamt via Nordbaden nach Wettingen
Woher komme ich? Diese Frage stellte sich Lutz Fischer-Lamprecht vor einigen Jahren. Bei der Suche nach seinen Vorfahren fand er zu seiner grossen Überraschung auch Schweizer: Zimmermann, Winkelmann und Näf aus dem Säuliamt sowie Heuberger aus Elfingen (Gemeinde Böztal). Diese waren vor rund 450 Jahren dem Ruf von Kurfürst Karl Ludwig (1649–1680) gefolgt, der sein Land, die Kurpfalz (heute Teile von Nordbaden), wieder nach vorne bringen wollte. Es war im Dreissigjährigen Krieg verwüstet und entvölkert worden.
Unter den Einwanderern aus dem Gebiet der heutigen Schweiz waren Zimmermann aus dem Säuliamt. «Weil ich wusste, dass Pfarrer Urs Zimmermanns Bürgerort Affoltern am Albis ist, fragte ich ihn nach seinen Vorfahren.» Und kurz darauf brachte dieser die Lösung: Der frühere und der amtierende Wettinger Pfarrer sind sich, wenn auch sehr weitläufig, verwandt.
Ein Blick etwas weniger in die Vergangenheit zeigt, wie die Familie unter den kriegerischen Ereignissen in Europa litt. Beide Grossväter sind im 2. Weltkrieg nicht aus dem Ostfeldzug heimgekehrt. «Der Vater meiner Mutter ist an der Ostfront gefallen, der Vater meines Vaters ist vermisst.» Das Grab des Grossvaters mütterlicherseits liegt in der heutigen Ukraine. Der russische Überfall auf diese Nation berührt ihn deshalb besonders stark.
Es muss der Gesellschaft nützen
Aufgewachsen ist Lutz Fischer-Lamprecht in Stutensee nördlich von Karlsruhe im Bundesland Baden- Württemberg. Sein Vater war Mitglied des Gemeindeparlaments, seine Mutter sass im Ortschaftsrat: «Mein politisches Engagement dürfte seine Wurzeln somit in der Familie haben», sagt er. Er leistete nach dem Abitur die Bundeswehrzeit und dachte zuerst daran, Kampfpilot zu werden. Doch dann entschied er sich, Theologie zu studieren, wobei er seine Frau Kirstin Lamprecht kennen lernte. «Meine Frau und ich beschlossen, dahin zu gehen, wo wir gemeinsam Stellen finden.» Das war zuerst im Kanton Freiburg der Fall und danach in Birmenstorf und Gebenstorf. Über einen Kanzeltausch bekam er Interesse an Wettingen-Neuenhof. Seit 1. April 2008 ist er dort Pfarrer, seine Frau ist seit drei Jahren Pfarrerin in Obersiggenthal. Sie haben fünf Kinder, der Älteste arbeitet in Bern, die beiden Töchter sind in einem Internat und die beiden Jüngsten leben zuhause.
Lutz Fischer-Lamprecht versucht, seine beruflichen und politischen Rollen auseinanderzuhalten, aber: «Die Leute sehen in mir immer auch den Pfarrer.» Deshalb steht für ihn auch in der Politik Menschenfreundlichkeit im Vordergrund. «Mein Engagement für die Menschen und die Umwelt bedeutet die Bewahrung der Schöpfung.» Er sieht sich aber nicht als Vertreter der Landeskirche oder der Kirchgemeinde: «Ich bin nicht geprägt von Lobbyarbeit.» Ihm ist wichtig, dass die Gemeinschaft gestärkt wird: «Wir müssen gemeinsam durchs Leben gehen und dabei müssen wir darauf achten, dass wir niemanden vergessen.» Deshalb gilt für Lutz Fischer-Lamprecht immer: «Die Frage ist nicht ‹Wo profitiere ich am meisten?›, sondern ‹Was nützt es der Gesellschaft?›»