Im Kloster Fahr finden auch Gäste Besinnung und Ruhe

24 Stunden im Kloster: Ein Erlebnisbericht aus dem Gästebereich des Würenloser Klosters Fahr.

Es ist 17.22 Uhr als ich am Seil der Klosterpforte ziehe und ein Klingeln auslöse. Eigentlich wird diese nur bis 17.15 Uhr bedient. Wegen des Feierabendverkehrs und einem letzten Geschäftstelefon habe ich mich ein paar Minuten verspätet. Doch das macht nichts: Schwester Ruth ist noch da und begrüsst mich freundlich. Ein paar Minuten später empfängt mich auch schon Schwester Martina. Sie ist die Gastschwester und für die Besucher zuständig. «Irgendetwas mit meinem Handy ist nicht in Ordnung, es sperrt mir immer wieder die SIM-Karte und dann erreichen mich die Schwestern nicht», entschuldigt sie sich für die kurze Wartezeit. Sie führt mich wieder aus dem Eingangsbereich heraus zur Propstei, einem freistehenden Gebäudeteil, wo sich der Gästebereich befindet. Fünf Einzel- und drei Doppelzimmer stehen dort zur Verfügung. Gastfreundschaft wird im Kloster Fahr gross geschrieben, getreu der Regel des heiligen Benedikts, der im Kapitel über die Aufnahme von Gästen unter Punkt 53,1 schrieb: «Gäste, die ankommen, empfange man alle wie Christus, weil er selber sagen wird: Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen.»

Schwester Martina erklärt das Schliesssystem. Genau wie die frisch sanierten Zimmer wurde auch die Schliesstechnik im Zuge der anstehenden Renovation Ende Jahr modernisiert. Auf zwei Stöcken sind die Gästezimmer verteilt. Ich bekomme die Nummer 4 und stelle meine Habseligkeiten hinein. Viel Zeit habe ich nicht. Ich will nämlich die Vesper, die zweitletzte Gebetszeit in der Kapelle nicht verpassen. Dort sitzen neben den sieben Ordensschwestern auch drei Gäste und Monsignore Obiora Ike, ein Geistlicher aus Nigeria. Zusammen mit der Informationsbeauftragten der «Kirche in Not», Lucia Wicki, besucht er verschiedene Kirchenveranstaltungen in der Schweiz. Sie übernachten ebenfalls im Gästebereich des Klosters, die restlichen Zimmer stehen leer. Während der halbstündigen Vesper singen die Schwestern vier Psalme. Das gibt mir Gelegenheit, die kleine im Jahr 1130 durch Freiherr Lütold von Regensberg gestiftete Kapelle näher anzuschauen. Nur gerade 25 Stühle haben darin Platz, durch die vier farbigen Glasscheiben scheint die Sonne herein.

Die Vesper dauert exakt 30 Minuten. Danach begeben sich die Schwestern ins Gebäude der ehemaligen Bäuerinnenschule. Für die rund zweijährige Sanierungszeit sind sie dorthin umgezogen. Mit Gartenzäunen aus Holz haben sie sich Klostermauern darum gebaut, die Klausur. Auf dem Weg informiert mich Priorin Irene, dass das Abendessen schweigend eingenommen wird. Vorher singen die Schwestern das Marienlied «Salve Regina». Zum Znacht gibts einen Gemüseauflauf mit Teigwaren, Apfel- und Rhabarbermus, Suppe, Brot und Tee. Während dem Essen ist es trotz Schweigegebot nicht still: Schwester Ruth liest aus dem Kommentarbuch von Sr. Michaela Puzicha über die Lebensbeschreibungen den heiligen Benedikt vor. Um 18.45 Uhr verlassen die Schwestern den Esssaal wieder, die «Rekreation», sprich Erholungsphase, steht an, wo die Schwestern die Gemeinschaft pflegen und auch reden dürfen. Ich lasse mich von Priorin Irene informieren, dass es um 19.45 Uhr mit der Komplet, dem Abendgebet weitergeht. Wenn ich denn möchte. Schliesslich steht es den Gästen frei, ob sie an den Gebetszeiten der Schwestern teilnehmen wollen. «Manche Gäste geniessen bei uns auch einfach die Ruhe, Natur und Erholung oder kommen her, um eine Arbeit zu schreiben.»

Doch ich bin gespannt, womit die Schwestern ihren Tag abschliessen und sitze zur Komplet um Viertel vor acht wieder in der Kapelle. Wiederum singen die Schwestern Psalme, gefolgt von einer kurzen Lesung aus der Bibel. Nach zwanzig Minuten ist auch die letzte Gebetszeit beendet und Schwester Martina wünscht mir mit einem herzlichen Händedruck eine gute Nacht. Endlich kann ich mir Zeit nehmen, mein Zimmer genauer anzuschauen. Der mit Holzmöbeln schlicht aber stilvoll eingerichtete Raum bietet alles, was es braucht: Vor allem genügend Steckdosen, um all meine elektronischen Geräte einzustecken. Schon erreicht mich das SMS einer Freundin. Sie will wissen, ob ich mein Handy im Versteckten benutzen müsse. Wenn sie wüsste mit welchen (Technik-) Sorgen sich Schwester Martina herumschlägt …

Es ist still im Zimmer. Kein Geräusch, ausser dem Zwitschern der Vögel und dem Surren des Laptops, in den ich meine ersten Eindrücke schreibe, ist zu hören. Ich fühle mich wohl und geborgen hinter den Klostermauern, setze mich vor dem Schlafengehen noch in den bequemen Sessel, der im Zimmer zum Verweilen steht. Ich habe mir vorgenommen, am nächsten Morgen die ersten zwei Gebetszeiten, die Vigil, um 5.20 Uhr und die Laudes, um 7 Uhr auszulassen und erst um 7.30 Uhr in der Eucharistiefeier zu erscheinen.

Ein paar Mal wache ich auf in der Nacht und schreibe es der ungewohnten Umgebung zu. Eine warme Dusche und schon läuten die Kirchenglocken, das Zeichen, dass ich mich unverzüglich zum Gottesdienst aufmachen soll. Zusammen mit neun Gästen, den Schwestern und dem Priester Obiora Ike aus Nigeria feiern wir die Eucharistiefeier. «In Afrika predige ich vor 2000 bis 3000 Menschen», verrät er mir später. Die Ordensschwestern haben dort keine Nachwuchsprobleme wie im Kloster Fahr. «Viele junge Mädchen müssen abgewiesen werden, weil im Kloster kein Platz mehr ist», so Ike. Nach der stündigen Messe gibt es Brot, Käse und Konfitüre zum Zmorge. Diesmal im Gästeraum und nicht mit den Schwestern. Doch Gastschwester Martina gesellt sich später dazu und erzählt, was sie in ihrem Alltag erlebt. Neben Gästen, die im Kloster Ruhe suchen oder eine Arbeit schreiben, kommen auch viele Suchende hierher. Schwester Martina hört ihnen zu, betet für sie. Mit Tränen in den Augen erzählt sie von einem kleinen Mädchen, dass öfters mit ihrer Mutter im Kloster vorbeikam und ihr anvertraute, dass ihre Mutter krank sei. Oder von der drogenabhängigen jungen Frau, die sich jahrelang bei ihr ausweinte. «Diese Begegnungen sind herausfordernd, zeigen mir aber auch, was ausserhalb des Klosters läuft. Es ist ein Geschenk, dass sie mir ihre Geschichten anvertrauen und ich für sie beten kann.»

Zurück im Zimmer wird mir bewusst, dass das Leben auch im Kloster nicht Halt macht. Just in dem Moment, als ich den Vorhang aufziehe sehe ich die Sanitäter vorbeigehen. Sie haben eine kranke Schwester geholt, bringen sie notfallmässig ins Spital, weil sie seit Tagen nicht mehr trinkt und erbricht. Sie wird von einer Mitschwester begleitet.

Ich habe eine halbe Stunde Zeit, die Ruhe zu geniessen und zu schreiben, bevor ich mich um 11 Uhr zur Mittagshore wieder in die Kapelle begebe. Diesmal bin ich der einzige Gast. Nach dem Singen von Psalmen wird eine Viertelstunde geschwiegen. Einfach nur sitzen und schweigen. Das tut richtig gut. Danach gibts Suppe, Salat, Reis, Fleisch und Gemüse. Es wird wieder stillschweigend gegessen und Schwester Ruth beim Lesen zugehört. Zum Dessert gibts einen Apfel. «An hohen Feiertagen gibts Kaffee und einen Dessert», verrät Schwester Martina.

Bereits um halb eins bin ich wieder im Zimmer. Noch einmal habe ich Zeit zum Schreiben, ehe ich um zwei Uhr einen Interviewtermin bei Priorin Irene habe. Ich erfahre, dass sie während der Sanierung den Gästebereich verdoppeln wollen, um künftig etwa zwanzig Gäste aufnehmen zu können. «Was wir haben, teilen wir. Und es scheint, dass die Gesellschaft Stille sucht», begründet sie die Vergrösserung des Gästebereichs. Kranke Personen, etwa solche die an Depressionen leiden, nehmen sie hingegen nicht auf. «Sie ertragen die Stille und Einsamkeit nicht und wir können ihnen keine professionelle Begleitung bieten», so Gastschwester Martina.

Als ich, knapp 24 Stunden nach meinem Eintreffen das Kloster durch die Pforte wieder verlasse, tue ich es mit einem lachenden und weinenden Auge. Zwar habe ich mehr gearbeitet und weniger genossen als vorgenommen. Doch die durch den Tagesablauf vorgegebenen Gebetszeiten haben mich zu Pausen gezwungen, die mir gut taten. Wie oft nehmen wir uns auf der Redaktion vor, zwischendurch eine kurze Pause zu machen und tun es dann doch nicht. Vielleicht sollte ich in meinem Alltag auch solche «Stille Zeiten» einführen. Doch zuerst werde ich mich jetzt durch den Feierabendverkehr nach Hause kämpfen, zu meinen Kindern und meinen Mann, die ich hier im Kloster vermisst habe.

Infos auf: www.kloster-fahr.ch

 

Weitere Artikel zu «Würenlos», die sie interessieren könnten

Würenlos09.10.2024

Einstieg in einen neuen Lehrberuf

Seit 2023 gibt es das neue Berufsbild Entwickler digitales Business. Der Würenloser Gianluca Haldimann (16) macht die vierjährige Ausbildung bei der Itris AG in…
Würenlos02.10.2024

Erster Kontakt mit der Berufswelt

Erstmals fand eine von der Schule und dem Gewerbe gemeinsam organisierte Tischmesse statt. 12 Betriebe haben im Gmeinds-chäller 15 Lehrberufe vorgestellt.
Würenlos25.09.2024

Wald, Kultur und Ortsentwicklung

Die Ortsbürgergemeinde Würenlos hat eine Publikation herausgegeben. Der Titel «Wirchilleozha» ist der Name von Würenlos, wie er im Jahr 870 erstmals schriftlich…