Sommerserie: Die Feige lehrt Geduld
Der Garten lehrt Redaktionsleiterin Melanie Bär Geduld. Am Ziel angekommen ist sie aber noch nicht.
Eigentlich sollte ich meine Ferientasche ausräumen, die schmutzigen Kleider waschen und ein paar E-Mails beantworten. Doch es zieht mich am Sonntagmorgen in den Garten. Nach der tagelangen Hitze der vergangenen Woche hat der Temperatursturz und Regen ideale Bedingungen für Gartenarbeit geschaffen. Barfuss gehe ich übers noch regenfeuchte Gras in den Lieblingsteil meines Gartens, zum Hochbeet und Kräutergarten.
Dank dem schönen Wetter und dem vielen Daheim-Sein während des Lockdowns, habe ich mehr Zeit im Garten verbracht und entsprechend blüht es intensiver, als in anderen Jahren. Ich hole Gartenschere und Grüncontainer, schneide die verblühten Rosenblätter ab und freue mich über den Marienkäfer, den ich entdecke. Kater Kaylo taucht auf, versucht erfolglos eine Biene zu fangen, legt sich auf die Gartenplatte und schaut mich erwartungsvoll an. Ich lache und streiche ihm übers warme Fell. Er schnurrt und verschwindet nach der Streicheleinheit Richtung Nachbarsgarten.
Ich rieche den Lavendel, der mich an die Bikeferien in der Ardèche erinnert. Doch sein Anblick löst alles andere als Freude aus. Ich habe ihn vor ein paar Wochen umgepflanzt und er gedeiht am neuen Ort nicht. Soll ich ihn ersetzen oder will er mich Geduld lehren? So wie der Feigenbaum, der nach einem kalten Winter erfroren schien. Ich habe ihn aufgegeben und bodeneben zurückgeschnitten, um etwas neues zu pflanzen. Als ein paar Monate später wieder neue Triebe aus dem Boden wuchsen, staunte ich nicht schlecht. Im März entdeckte ich eine einzige Feige und rechnete mit einem erntefreien Jahr. Im Juni lehrte mich der Feigenbaum erneut, dass sich Geduld lohnt: An den Ästen wuchsen unzählige kleine Früchte. Die warme Temperatur der letzten Tage hat sie prächtig gedeihen lassen.
Garten lehrt Zufriedenheit und hilft gegen das Genervt-Sein
Ich freue mich über dieses Wunder der Natur und jäte das Unkraut, das durch die Wärme ebenfalls gut gediehen ist. Ich fühle die Erde an den Händen, höre die Schafe auf der Nachbarsweide blöken und werde bei der monotonen Arbeit ruhig und zufrieden. Die Zeit vergeht im Nu, ich nehme mir im Gemüsegarten Zucchetti, Lauch, Tomate, Gurke und Rucolablätter und verlasse als anderer Mensch den Garten Richtung Küche.
Entspannt beginne ich nach dem Essen, die Tasche auszuräumen, Kleider zu sortieren und E-Mails zu beantworten. Doch schon nach einer Stunde hat meine morgendliche Zufriedenheit in leichtes Genervt-Sein über die vielen Spam-Mails gewechselt. Ich denke an den Feigenbaum und versuche die Geduld aus dem Garten auch im Alltag anzuwenden. Im Wissen, dass ich wohl noch einige Gartenabstecher dafür brauche.