Trotz Gewinn kein Luxus
Die Mitglieder des Einwohnerrats waren sich einig: Der positive Rechnungsabschluss mit 2 Mio. Franken Überschuss erfreut. Mahnende Worte gab es trotzdem.
Es war ein Heimkommen: Nach zwei Jahren trafen sich die Einwohnerrätinnen und Einwohnerräte vor einer Woche nicht mehr im Tägi zur Sitzung, sondern wieder im Rathaus. Nur zwei maskentragende Einwohnerräte erinnerten noch an die Pandemie, die in der Rechnung 2021 weniger Spuren hinterlassen hatte als ursprünglich angenommen. Deswegen «juhui» zu sagen, sei aber falsch, kommentierte Mia Kicki Gujer (SP): «Anlässe mussten wegen Covid abgesagt werden, ohne diese Ausfälle hätten wir rote Zahlen.» «Das positive Ergebnis kam nicht alleine durch vermehrte Steuereinnahmen zustande, sondern auch, weil wir durch die coronabedingten Absagen weniger Geld ausgegeben haben», doppelte auch Jürg Baumann (SVP) nach.
Das sahen auch alle anderen so. Sorgen bereitet den Anwesenden insbesondere der schlechte Selbstfinanzierungsgrad, über den auch der Überschuss von 2 Mio. Franken, der damit 6,5 Mio. Franken über Budget lag, nicht hinwegzutäuschen vermochte. «Die Selbstfinanzierung sollte bei 100 Prozent liegen, wir haben gerade mal 33 Prozent geschafft. Rechnet man das Tägi nicht dazu, sind es 44 Prozent, die wir selber finanzieren konnten», sagt der Präsident der Finanzkommission (Fiko), Thomas Benz (Die Mitte). Mit jedem investierten Franken habe Wettingen 60 Rappen Schulden gemacht. «Dieses Problem können wir nicht aufschieben, sondern müssen es lösen.» Benz sieht drei Möglichkeiten, wie das Ziel erreicht werden kann: mehr sparen, mehr Erträge durch Gebührenerhöhung oder durch Anpassung des Steuerfusses. «Oder ein Mix von allem.»
Es gelte nun, auf «nice to have» zu verzichten und sich keinen Luxus zu leisten, waren sich viele der Exekutivmitglieder einig. «Der positive Abschluss soll keine Begehrlichkeiten wecken», sagte Judith Gähler (FDP). «Wir müssen uns Investitionen gut überlegen», doppelte Marcel Aebi (Die Mitte) nach. Orun Palit (GLP) forderte, dass das Tägi nach der Sanierung nun auf eigenen Beinen stehen müsse. «Das muss unbedingt das Ziel sein.»
Vizeammann Markus Maibach (SP) bereiten als Ressortvorsteher die Steuereinnahmen Bauchschmerzen. Im Vergleich zum Vorjahr liegen die Einnahmen 5 Prozent tiefer. «Wir haben keine Aufwertungsreserve mehr.»
Lob für den Rechenschaftsbericht
Lobende Worte fanden die Einwohnerrätinnen und Einwohnerräte für den Rechenschaftsbericht. «Sehr übersichtlich», sagte Andreas Leuppi (WG) im Namen der Geschäftsprüfungskommission. «Es wurde gut und mit viel Einsatz in der Verwaltung gearbeitet», kommentierte Lukas Rechtsteiner (EVP). «Ein wahrer Fundus an spannenden Fakten und Informationen», so Martin Fricker (SVP). «Es ist beeindruckend, was unsere Steuern alles möglich machen», sagte Mia Kicki Gujer. «Einmal mehr schön gestaltet und sehr ausführlich», fand Ruth Jo. Scheier (GLP), die den Wunsch äusserte, noch deutlicher auf die Legislaturziele einzugehen: «Wo steht man, wo ist man auf Kurs?» Ein weiteres Anliegen, das mehrmals geäussert wurde, war die zeitgerechte Beantwortung und Auflistung von Vorstössen. Leupi bat darum, ein Auge darauf zu halten, attraktiver Arbeitgeber zu bleiben: «Bei der Personalfluktuation herrscht ein Höchstwert seit 2015.»
Dessen ist sich Gemeindeammann Roland Kuster (Die Mitte) durchaus bewusst. Der Fachkräftemangel macht auch vor der Gemeinde nicht Halt: «Bei der Polizei haben wir grosse Mühe, Stellen zu besetzen, das macht mir durchaus Sorgen.» Auf die Frage von Valentin Egloff (WG), welche Massnahmen ergriffen wurden, um die Lohndifferenzen zwischen Männern und Frauen zu verkleinern, antwortete Kuster: «Sie werden in der nächsten Lohnrunde angepasst.» Die Lohndifferenz von 3,4 Prozent betreffe insbesondere Angestellte in der Heilpädagogischen Schule. Bei den Löhnen der Verwaltungsangestellten habe die externe Lohngleichheitsanalyse keine geschlechterspezifischen Differenzen festgestellt.
Räumliches Entwicklungsleitbild
Auf den Pulten der Ratsmitglieder lag die druckfrische Broschüre des Räumlichen Entwicklungsleitbilds (REL) «Wettingen 2035». Es zeigt einerseits auf, wo Wettingen liegt und wohin die angestrebten Entwicklungen bis und über die nächsten 15 Jahre führen sollen. Das Leitbild bildet die Grundlage für die Revision der allgemeinen Nutzungsplanung. Fabian Käufeler (Die Mitte) betonte die Wichtigkeit, Grünflächen in Gemeindehänden zu behalten. Christa Camponovo-Weber (SP) sprach sich für innere Verdichtung und gegen Zersiedlung aus. Bevor die Ratsmitglieder das REL zur Kenntnis nahmen, drückte Manuela Ernst (GLP) ihre Freude darüber aus, dass Anliegen ihrer Partei, Grünflächenerhalt, Luftkorridor und Velowege, ins Papier eingeflossen sind.